Die Dämonenfalle
seien zusammen zur Schule gegangen, daher. Fakt ist, ich überprüfte das später, dass die beiden tatsächlich im selben Internat in Lincolnshire waren. Nun gut, Besessenheit kann schon in sehr frühen Jahren entstehen, genau wie Missgunst. Vielleicht war seinerzeit ein Streit über einen Schokoriegel außer Kontrolle geraten, weshalb die Sache seither in Jenson schwelte.
Jenson indes bestritt dies. Marcus Orthew, so behauptete er, sei vielmehr das coolste Kid an der Schule gewesen. Das überraschte mich nicht. Wie ich aus Interviews von ihm wusste, war Orthew einer der kultiviertesten Männer auf dem Planeten. Die Frauen fanden so etwas sehr anziehend. Das war bekannt, weshalb man sich auch nicht Jensons gesammelte Presseausschnitte ansehen musste. Orthews Freundinnen waren sagenhaft, selbst die Qualitätspresse berichtete über diese Frauen.
Erhob sich die Frage, warum in aller Welt Jenson zu dem Schluss gelangt war, dass aus dem coolsten Kid der Schule jemand geworden war, der eine Zeitmaschine baute.
»Ganz einfach«, sagte er in vollem Ernst, »als ich zwölf Jahre alt wurde, bekam ich zum Geburtstag einen Kassettenrekorder geschenkt. Ich war sehr erfreut darüber, denn außer mir hatte sonst niemand einen. Doch Marcus sah das Ding nur an und lachte. Dann schnappte er sich eine der Kassetten – eine C-90, wie ich mich erinnere – und meinte: ›Der letzte Schrei, was? Mann, die ist ja fast so groß wie ein iPod.‹«
Das ergab für mich wenig Sinn. Paul und Carmen hatten sichan diesem Punkt schon ausgeklinkt, warteten gelangweilt darauf, dass ich die Sache beendete. »Und?«, fragte ich.
»Und?«, erwiderte Jenson geduldig. »Das war im Jahr 1972. Damals waren Kassetten der letzte Schrei. An jenem Tag fand ich seine Bemerkung seltsam und dachte, ›iPod‹ wäre irgendein ausländisches Wort. Markus sprach zu jener Zeit schon drei Sprachen fließend und warf, um lässig zu wirken, ständig irgendwelche exotischen Begriffe in den Raum. Aber es war ein Vorfall, der mir im Gedächtnis blieb. Und es gab andere. Wie er zum Beispiel lächelte, wann immer Margaret Thatcher im Fernsehen zu sehen war. Als ob er was wüsste, was wir anderen nicht mal ahnten. Als ich ihn mal danach fragte, meinte er nur: ›Eines Tages wirst du den Witz verstehen.‹ Ich hab ein gutes Gedächtnis, Detective, ein sehr gutes sogar. All diese kleinen Vorkommnisse summierten sich über die Jahre. Aber es war der iPod, der mich schließlich überzeugte. Wie in Gottes Namen konnte er 1972 etwas von iPods wissen?«
Nun verstand ich. »Zeitmaschine«, sagte ich.
Jenson sah mich fast schon mitleidig an. »Aber Marcus war damals erst zwölf – genau wie ich«, meinte er. »Wir waren seit unserem achten Lebensjahr zusammen zur Schule gegangen, und ihm war bereits damals eine Art weltmännisches Auftreten zu eigen, das ein Mensch für gewöhnlich erst ab dreißig entwickelt. Verdammt, er hat mit dem altklugen Gehabe sogar unsere Lehrer genervt. Wie also hätte ein Achtjähriger auf Zeitreise gehen sollen? Im Jahre 1968? Herrgott, die NASA war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal auf dem Mond gewesen, und wir hatten gerade mal Transistoren. Niemand im Jahr 1968 hätte eine Zeitmaschine bauen können.«
»Aber das ist doch der Witz an Zeitmaschinen«, platzte ich heraus. »Ihre Benutzer kehren ja aus der Zukunft zurück.« Ich wusste, ich würde mich bei Paul und Carmen dafür rechtfertigen müssen, aber hier konnte ich mich einfach nicht zurückhalten. Irgendwas an Jensons Auftritt irritierte mich, und der alte Polizisteninstinkt meldete sich. Dieser Mann präsentiertesich uns alles andere als wahnhaft. Gut, ich bin kein Seelenklempner, aber ich wusste, was ich sah. Jenson war ein ganz gewöhnlicher Programmierer, ein Computerfreak und Freiberufler, der von zu Hause aus arbeitete; in letzter Zeit zumeist an seinem Laptop, während er Orthew durch die Welt nachjagte. Etwas musste diese Obsession befeuern. Und je mehr ich hörte, umso dringender wollte ich wissen, was das war.
»Genau«, sagte Jenson, und plötzlich wirkte er fast gehemmt, als er fortfuhr. »Erst dachte ich, ein älterer Marcus wäre in der Zeit zurückgereist und hätte seinem jüngeren Ich eine Enzyklopädie aus dem Jahr 2010 in die Hand gedrückt. Das wäre die klassische Erklärung, obwohl es natürlich die Kausalität verletzt. Aber Wissen allein vermochte Marcus’ eklatante Charakterentwicklung nicht zu erklären; irgendwas hatte einen ganz gewöhnlichen Jungen in einen
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