Die Dämonenfalle
Fetzen aus meiner Vergangenheit inmitten des Strudels aus Farben und Emotionen: dieschnelle Verfolgungsjagd, die mich fast umgebracht hätte; die Geburt meines Sohnes; Vaters Beerdigung; die Kirche, in der ich geheiratet hatte; die Universität. Dann wurde der Rücklauf langsamer, und ich gelangte an den Tag – ich war etwa elf Jahre alt –, als sich der Rabauke Kenny Mattox auf meine Brust gesetzt und mir ausgerissene Grasbüschel in den Mund gestopft hatte.
Ich würgte, als mir die durchweichte Masse zwischen die Zähne gepresst wurde, schrie vor Schreck und Angst. Kenny lachte und drückte mir noch ein bisschen mehr Gras in den Rachen. Ich hustete, dann musste ich mich fürchterlich übergeben. Angewidert ließ er von mir ab. Ich lag eine Weile dort, versuchte wieder zu Atem zu kommen und das restliche Gras auszuspucken. Ich war elf Jahre alt, und wir schrieben das Jahr 1968. Nicht gerade der Moment, den ich mir freiwillig für eine Ankunft in der Vergangenheit ausgesucht hätte, doch in wenigen Monaten würde Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzen, und die Beatles würden sich trennen.
Ich für meinen Teil hätte mir was patentieren lassen sollen. Aber was? Ich war kein Ingenieur und schon gar kein Wissenschaftler. Ich kannte weder die chemische Zusammensetzung von Viagra, noch wusste ich, wie ein Airbag zusammengebaut wurde. Ich kannte mich mit alltäglichen Dingen aus, mit Pop-Ikonen, ohne die wir nicht auskommen und die ihren Erfindern ein Vermögen einbringen. Aber hätten Sie einen Risikokapitalgeber zu einem Zeitpunkt von Lara Croft überzeugen können, wo der erste Taschenrechner erst fünf Jahre später in die Läden kommen sollte? Ich hab’s versucht, und hab seitdem Hausverbot in einigen Banken der Innenstadt.
Also besann ich mich auf das Einfachste der Welt und wurde Singer-Songwriter. Sich an Melodien zu erinnern, ist lächerlich einfach, auch wenn man den genauen Text vergessen hat.
Erinnern Sie sich noch an meinen ersten großen Hit im Jahr 1978? Shiny Happy People ? Ich war schon immer ein großer R.E.M.-Fan. Kennen Sie nicht? Egal. Ich frage mich manchmal,was die Bandmitglieder in meinem früheren Leben wohl machen. Pretty In Pink, Teenage Kicks, The Unforgettable Five, Solsbury Hills? Alles das Gleiche; dieses fantastische Lebenswerk aus meiner Feder ist nicht halb so originell wie behauptet. Und sorry, auch Live Aid war nicht das Ergebnis eines genialen Inspirationsschubes, als den ich das Event immer verkauft habe. Aber das Musikgeschäft verhalf mir zu einem verdammt guten Leben. Jedes Album, das ich veröffentlichte, schaffte es auf beiden Seiten des Atlantiks an die Spitze. Das bringt Geld. Viel Geld. Und Frauen. Ehrlich gesagt hab ich die Berichte über die Backstage-Exzesse in meiner vormaligen Zeit nie geglaubt, aber lassen Sie sich gesagt sein: Die Öffentlichkeit erfährt nicht mal die Hälfte dessen, was hinter der Bühne wirklich abgeht.
Ich hielt diese Karriere für die beste Tarnung. Seit Mitte der 70er-Jahre hatte ich Privatdetektive auf Marcus Orthew angesetzt und einige Mitglieder aus seinem Management stehen auf meiner Gehaltsliste. Verflucht, ich habe sogar Anteile an Orthogene erworben. Ich wusste, die Firma würde zweifelsohne Geld machen, wenngleich ich nicht mit einem Vermögen rechnete. Kurz: Ich kann tun, was immer ich will; und das Tolle daran ist, dass sich niemand um irgendwelche Rockstars und darum schert, für was sie ihre Kohle ausgeben. Jeder glaubt, wir wären talentfreie bekiffte Kids, die irgendwann zwangsläufig scheitern werden. Und genau das denken Sie doch auch, oder? Ich meine, dass ich mit dieser Sache gescheitert bin. Tja, da haben Sie sich geirrt.
Wissen Sie, ich habe den gleichen Fehler gemacht wie der arme alte Toby Jenson: Ich hatte Marcus unterschätzt. Hatte die Sache nicht bis zum Ende durchdacht. Meine Musik hat mich populär gemacht, sehr populär. Jeder kennt mich. Rund um den Globus nennt man mich ein Ausnahmetalent. Es gibt nur einen Menschen in dieser Zeit, der weiß, dass die Songs nicht auf meinem Mist gewachsen sind: Marcus. Er wusste natürlich, dass ich ihm gefolgt war. Und er hat auch in diesem Durchgang nicht den ewigen Jungbrunnen gefunden. Es ist also die Zeitgekommen, da er weiterziehen muss, um in einem anderen Paralleluniversum noch mal neu zu beginnen.
Und deshalb legte er mich aufs Kreuz. Denn beim nächsten Mal hatte er vor, unser aller Gott zu werden. Eine Rolle, die er mit niemandem anderen
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