Die Dämonenfalle
Stimmung noch hebt.
Langsam versinkt die Sonne hinter der siebenhundert Jahre alten gigantischen Arkologie, die das Zentrum ihrer Heimatstadt Kuhmo bildet. Der Komplex wirft einen sich nach allen Seiten hin gleichmäßig ausbreitenden Schatten, der die Außenbezirke der Stadt verdunkelt. Eine minutiöse Eklipse, derer Imelda an jedem Abend ihrer siebzehn Lebensjahre Zeuge geworden ist. Und doch tut das damit einhergehende Zwielicht ihrer guten Laune keinen Abbruch. Sie ist ein glückliches, hübsches Mädchen mit einem bezaubernden ebenmäßigen Gesicht und einer kecken Nase, dem das kastanienbraune Haar bis über die Schultern fällt. Heute hat sie sich für ein ärmelloses blau-weißes Kleid entschieden, dessen halborganischer Stoff schwungvoll ihre langen Beine umfließt. Wo immer sie langgeht, erntet sie sehnsüchtige Blicke von den Jungs, die auf der Suche nach Unterhaltung in Kuhmos öden Straßen herumlungern, bevor die Nacht anbricht.
Sie biegt in die Rustwith Street ein, eine der breiten Hauptverkehrsadern, die von dem sechseckigen Sockel der sich nach oben verjüngenden Arkologie ausgehen. Hohe Novikbäume säumen diese Straße wie auch die anderen Durchgangsrouten, die das Stadtzentrum zerschneiden. Ihre wolligen blaugrünen Kronen stellen einen gewollten Kontrast zu den eintönigen berghohen Flanken der Arkologie dar. Auf der breiten Straßesind Fahrzeuge unterwegs, primitive Verkehrsmittel, deren Räder mit Elektromotoren angetrieben werden. Die Welt von Anagaska hat nie wirklich profitiert vom Wohlstand, der auf anderen Planeten des Greater Commonwealth herrscht. Die Bürger hier scheinen indes zufrieden damit zu sein, ihren eigenen langsamen und behutsamen Weg des Fortschritts zu gehen, mit dem sie Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hinter den dynamischeren Welten herhinken. Und diese provinzielle Stadt ist auf ganz eigene Weise ihrem Lebensstil verhaftet, gefesselt an die Vergangenheit durch die Arkologie, welche sowohl das hiesige Denken als auch das Landschaftsbild dominiert.
Dem Verlauf der Straßen folgend schweben auch ein paar moderne Regravkapseln durch die Stadt. Kaum größer als die Autos am Boden, gleiten die glänzenden farbenfrohen Ovoiden in der vorgeschriebenen Höhe von fünfzehn Metern lautlos voran, womit sie während der Fahrt gleichauf sind mit den oberen Baumkronen.
Imelda achtet nicht auf den Verkehr, als sie in Richtung des Cafés eilt, wo sie ihren Angebeteten treffen wird. Wie die Arkologie hat auch der beständige Fahrzeuglärm den Stellenwert gleichmütig hingenommenen Hintergrundrauschens. Insofern bemerkt sie auch die verchromte grüne Kapsel nicht, die ein paar hundert Meter im Schritttempo hinter ihr herschwebt und dabei ihren Abstand stets beibehält.
Die beiden Insassen, gleichermaßen Advancer und Protektoratsmitglieder, beobachten die junge Frau mittels Sensoren, die sich in der Metallkarosse der Kapsel befinden, sowie einer Flut von Prüfroutinen, die sie über das ganze Stadtnetz verteilt haben. Ihre Organisation mag zwar keinen offiziellen Status haben, dennoch hat sie Zugriff auf die Polizeicodes, wodurch sie innerhalb der öffentlichen Elektronik und Architektur ihren heimlichen Geschäften nachgehen kann.
Als Imelda in das Gedränge auf der überfüllten Urwan Plaza eintaucht, schlagen ihr vereinzelt Pfiffe, Wolfsgeheul und unzweideutige Pings entgegen. Ihre Verfolger halten die Pings fürversteckte Codes, doch die Burschen und jungen Männer, die sie gesendet haben, haben es nur auf die Aufmerksamkeit des Mädchens und vielleicht ein Lächeln abgesehen. Und Imelda lächelt, doch sie geht unbeirrt weiter. Sie greift dabei praktisch auf keine ihrer Advancer-Fähigkeiten zurück. Die makrozellulären Cluster, die ihr Nervensystem ergänzen, sind kaum mit der planetaren Cybersphäre verknüpft. Die übertragenen Exoimages und Icons werden sogleich in ihre periphere Sicht verschoben, ohne dass sie die auch nur mit ihren neuralen Händen berührt. Sekundäre Gedankenroutinen, die in ihren makrozellulären Clustern arbeiten, registrieren stattdessen viel wichtigere Ereignisse.
Sie freut sich, Sabine zu sehen, ihre jüngere Schwester, die endlich das Haus ihrer Tante in New Helsinki erreicht hat – am Inubo-Bahnhof hatte sie einen längeren unvorhergesehenen Aufenthalt gehabt, da sie auf den verspäteten Regravbus warten musste. Imelda ist sehr erleichtert, denn sie liebt ihre Schwester von Herzen, doch Sabine ist ein noch ziemlich kindsköpfiges Mädchen,
Weitere Kostenlose Bücher