Die Daemonenseherin
sprang vor und presste ihm den Elektroschocker in die Seite. Das Knistern und Zischen, als der Strom in seinen Körper schoss, war durch den ganzen Raum zu hören. Klappernd fiel Averys Waffe auf den Marmor. Er ging in die Knie und versuchte sofort wieder auf die Beine zu kommen. Da presste ihm die Frau das Gerät gegen den Hals und verpasste ihm einen weiteren Stromstoß. Avery sackte zusammen und rührte sich nicht mehr.
Alessa fuhr zu Susannah herum. Sie hätte sie einfach stehen lassen sollen, doch sie wollte zumindest die Gelegenheit bekommen, Susannah nach dem Warum zu fragen. »Raus hier!«
Als sie sich nicht rührte, verpasste Alessa ihr einen Stoß, damit sie sich endlich in Bewegung setzte. Susannah stolperte los. Ein Donnern zerriss die Stille. Susannah taumelte nach vorne und stürzte. Blutspritzer färbten den hellen Marmor rot. Stöhnend versuchte sie sich aufzurappeln, sich mit den Händen hochzustemmen, und sackte wieder zu Boden.
»Sanna!«
Unter großer Mühe rollte sie sich auf die Seite, eine Hand auf den Bauch gepresst, wo das Blut zwischen ihren Fingern hervorsickerte. Sie sah zu Alessa auf, die sich über sie beugte, um ihr auf die Beine zu helfen.
»Lauf!«, keuchte sie.
Alessa schüttelte den Kopf. Sie konnte Susannah unmöglich zurücklassen.
Die vier Männer hatten sich über den Raum verteilt und kamen langsam näher, jeder von ihnen mit einer Pistole in der Hand. Die Frau hatte die Türen geschlossen und war davor stehen geblieben.
»Wir machen das gemeinsam.« Alessa griff nach Susannahs Arm und zog sie hoch, ohne sich darum zu scheren, dass ihre eigene Schulter unter der Belastung heftig schmerzte, oder sich zu fragen, wie schlimm Susannahs Verletzung sein mochte. Wenn sie nicht von hier fortkamen, würden sie auf jeden Fall sterben – beide. So hatten sie zumindest noch eine Chance. Alessa legte all ihre Kraft in den Griff und hatte Mühe, nicht von Susannahs Gewicht zu Boden gezogen zu werden. Susannah stand schon fast, als ein weiterer Knall ertönte, diesmal weniger laut. Ein Brennen durchzuckte Alessas Leib, so heftig, dass Susannah ihr entglitt. Als sie nach unten blickte, ragte ein rot gefiederter Pfeil aus ihrer Seite, wo die Spitze durch den Pullover in ihr Fleisch gedrungen war. So etwas hatte sie schon einmal gesehen. Tierärzte benutzten diese Art von Geschossen.
Sie packte den Pfeil, zog ihn mit einem Ruck heraus und ließ ihn fallen.
»Verschwinde! Alessa, bitte!«
Vor ihnen hatten sich die Männer aufgefächert und kamen langsam näher. Dafür, Susannah noch mal aufzuhelfen, fehlte Alessa die Kraft, und selbst wenn sie es geschafft hätte, würden sie nicht schnell genug vorankommen. Sie musste Susannah zurücklassen.
Sie haben es auf mich abgesehen, nicht auf sie.
Die Kerle würden Susannah ignorieren und sich stattdessen an Alessas Fersen heften. Wenn es ihr gelang, die Männer von hier wegzulocken, konnte Avery einen Krankenwagen rufen. Daran, dass der Elektroschock sein Herz zum Stillstand gebracht haben könnte, wagte sie nicht zu denken.
Sie fühlte sich seltsam, als hätte jemand die Welt in Watte gepackt. Ihr war ein wenig schwindlig und die Geräusche um sie herum, die Stimmen der Männer, das Klappern ihrer Schritte, Susannahs rasselnder Atem, klangen eigenartig dumpf. Nur ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, als würde jemand in schnellem Rhythmus einen Vorschlaghammer gegen eine Wand dreschen. Dass sie noch stand, ließ sie hoffen. Vielleicht war es ihr gelungen, den Pfeil herauszuziehen, ehe zu viel Betäubungsmittel in ihren Blutkreislauf gelangen konnte.
Wenn sie es an den Männern vorbei aus dem Saal schaffte, konnte sie um Hilfe rufen. Womöglich würde das ausreichen, um die Seher in die Flucht zu schlagen.
Blieb nur noch die Frage, wie sie an den Typen vorbeikommen sollte.
Die Männer waren in einiger Entfernung zu Susannah und ihr stehen geblieben und schienen darauf zu warten, dass das Betäubungsmittel seine Wirkung zeigte. Da könnt ihr lange warten . Alessa verkniff sich ein grimmiges Grinsen und machte einen wankenden Schritt zur Seite, um die Seher in Sicherheit zu wiegen. Sie hielten noch immer ihre Waffen in Händen, doch keiner zielte auf Alessa.
Zu wissen, dass sie sie lebend wollten, machte ihr weit mehr Angst als der Gedanke an den Tod. Noch mehr Versuche. Der Isolationstank. Kälte. Einsamkeit. Alessa glaubte nicht, dass sie all das ein weiteres Mal ertragen konnte, ohne wahnsinnig zu werden.
Noch ein
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