Die Daemonenseherin
Couch fallen ließ.
Eine Weile aßen sie schweigend, ehe Morgan begann, noch einmal die Fakten vom Tatort zu rekonstruieren. »Die Spurensicherung hat Faserspuren und Fingerabdrücke einer dritten Person im Schrank gefunden.«
Logan hatte nicht vor, ihm von Alessa Flynn und den fehlenden Beweismitteln zu erzählen. Der Bulle wusste ja nicht einmal davon, dass Logan eingesperrt gewesen war. Er hatte behauptet, die Schlafzimmertür auf der Suche nach dem Täter aufgetreten zu haben. »Vielleicht hatte der Professor eine Freundin?«
»Der alte Sack?« Morgan zog eine Grimasse, die deutlich besagte, dass der Mann, dessen Experimente für den Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes verantwortlich waren, kein Recht auf eine Beziehung hatte.
Logan zuckte die Schultern und suchte nach einem Weg, unauffällig das Thema zu wechseln. Dass er die Dämonenseher aufspüren und einfangen sollte, weckte auch in ihm die Gespenster der Vergangenheit. Er hatte Pamela damals gefunden, das war schlimm genug gewesen. Wie schrecklich musste es erst für Morgan sein, der den Tod seiner Frau nie verwunden hatte?
»Habt ihr schon eine Idee, wie ihr diese Dämonen aufspüren könnt, nachdem euch dieser Professor nicht mehr helfen kann?«
»Ich lasse dir eine Kopie der Akte per E-Mail schicken, dann kannst du für uns mit die Augen offen halten. Abgesehen davon versucht sich Avery gerade an einem Fotoabgleich mit CCTV.«
Morgan zog eine Augenbraue in die Höhe. »Eines muss man euch Typen von der Spezialeinheit lassen, ihr wisst euch zu helfen.«
6
A lessa stand vor dem Polizeirevier an der St. Leonards Street und starrte auf die Tür. Wenn sie hineinging, gab sie die Kontrolle aus der Hand, blieb sie draußen, riskierte sie womöglich Susannahs Leben.
Nachdem Detective Drake gestern gegangen war, hatte sie das Handy aus der Jackentasche geholt und versucht Susannah zu erreichen. Wieder und wieder hatte sie ihr auf die Mailbox gesprochen und auf ein Lebenszeichen gewartet, doch es war ausgeblieben. Susannah hatte nicht zurückgerufen und war weder während des Tages noch später in der Nacht ans Telefon gegangen.
Damit sie einander nicht versehentlich verraten konnten, hatten sie nur ihre Handynummern ausgetauscht, Susannahs Adresse kannte sie nicht. Während der letzten Stunden hatte Alessa versucht sie herauszufinden. Doch die Gesellschaft, bei der Susannah ihr Handy angemeldet hatte, rückte keine Informationen über die Vertragsadresse heraus.
Inzwischen war ihre Sorge so groß, dass Alessa beschlossen hatte, den Detective um Hilfe zu bitten. Er hatte herausgefunden, wo sie wohnte, er konnte auch Susannah finden. Wenn sie nicht in ihrer Wohnung war, konnte er ihren Aufenthaltsort vielleicht über ihr Handy orten – sofern sie es bei sich hatte. Alessa unterdrückte die aufsteigenden Bilder von Susannah, die verletzt irgendwo lag, das Handy verloren, sodass sie niemanden auf sich aufmerksam machen konnte. Nein! Ich werde sie finden und es wird ihr gut gehen!
Trotzdem war sie hin- und hergerissen, ob sie sich dem Polizisten wirklich anvertrauen sollte. Sie wollte nach wie vor für sich behalten, dass sie eine Seherin war – von dem Dämon in ihrem Körper ganz zu schweigen –, es bestand jedoch die Gefahr, dass er es trotzdem herausfand. Für diesen Fall musste sie darauf vertrauen, dass er sie nicht an die Gemeinschaft verriet. Eine andere Wahl hatte sie nicht.
Mit einem Ruck stieß sie die Tür auf und betrat das Gebäude. Die St. Leonards Station war eines der größten Reviere der Stadt. Alessas Schritte hallten auf dem Marmorboden wider, als sie durch das Foyer ging. Die erste Anlaufstelle war ein Tresen, hinter dem eine mürrisch dreinblickende Uniformierte saß, das blonde Haar zu einem strengen Knoten zurückgesteckt. Zwischen Ohr und Schulter klemmte ein Telefonhörer, mit dem Bleistift in der Hand trommelte sie abwechselnd auf der Tischplatte oder machte Notizen. Von Zeit zu Zeit stieß sie ein affektiertes Kichern aus.
Links vom Empfang führte eine dunkle Holztreppe nach oben und im Rücken der Blondine befand sich eine geschlossene Glastür, hinter der Alessa vier Reihen mit Schreibtischen ausmachen konnte, die sich von einem Ende des großen Raumes zum anderen zogen. Uniformierte Polizisten und Männer und Frauen in Zivilkleidung liefen geschäftig in den schmalen Gängen zwischen den Schreibtischen hin und her, Berichte und Unterlagen in Händen. Andere saßen vor ihren Computern oder telefonierten.
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