Die Daemonenseherin
Flynn als sein Revier genannt hatte, sondern auch unmittelbar am Holyrood Park, wo er jeden Morgen joggte.
Als er die Treppen hochkam, wartete Morgan – mit zwei Pizzakartons in Händen – bereits vor seiner Tür. Das war der Nachteil des nahe gelegenen Polizeireviers, denn Morgan, der tatsächlich dort stationiert war, fühlte sich häufiger bemüßigt, Logan einen Besuch abzustatten, als er es wohl getan hätte, wenn das Revier einige Kilometer weiter entfernt gewesen wäre.
Logan schluckte einen Kommentar hinunter, sperrte die Wohnungstür auf und ließ Morgan herein. Selbst jetzt trug der Bulle einen seiner Anzüge. Logan würde nie verstehen, wie man in seiner Freizeit freiwillig so herumlaufen konnte, doch soweit er wusste, besaß Morgan nicht einmal Jeans. Selbst zum Bowling ging er im Anzug, immerhin legte er dann das Sakko ab, an guten Tagen lockerte er sogar die Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf. Der Typ war so britisch, dass Logan erwartete, eines Tages den Stock aus seinem Hintern ragen zu sehen, den er verschluckt hatte.
»Du kannst die Pizza schon mal auf den Couchtisch stellen.« Logan zog sein Handy aus der Tasche und legte es, zusammen mit der Akte, auf die Theke, die die offene Küche vom Wohnzimmer trennte. Seine Lederjacke warf er auf den Sessel. »Ich zieh mich nur schnell um.«
»Dein Empfang ist enthusiastisch wie immer«, brummte Morgan. »Es ist ein Wunder, dass ich immer noch dein Freund bin und nicht schon längst die Flucht ergriffen habe.«
»Du bist nur deswegen mein Freund, weil ich noch keinen Weg gefunden habe, dich loszuwerden.« Zum Teil stimmte das, doch ein anderer Teil Logans war froh um Morgans Gesellschaft, auch wenn er sich oft darüber beschwerte, dass sie ihm aufgezwungen wurde. Morgans Gelächter ignorierend ging er ins Schlafzimmer und zog frische Jeans und einen weniger warmen Pulli an.
Er kannte den Bullen jetzt schon seit einigen Jahren, doch erst nach dem Tod seiner Frau hatten sie sich angefreundet. Anfangs war der Polizist ihm auf die Nerven gefallen und Logan hatte tatsächlich alles versucht, um ihn abzuwimmeln. Dann war Pamela gestorben und mit einem Schlag hatte sich alles verändert.
Logan hatte sich in seiner Ablehnung zurückgehalten, auch wenn er zunächst nicht verstehen konnte, warum Morgan ausgerechnet seine Gesellschaft suchte. Der Bulle war überall beliebt. Er hatte viele Freunde auf dem Revier und bei der Polizei im Allgemeinen, doch es war Logans Tür, an der er damals geklingelt hatte.
Logan hatte sich zusammengerissen und sich dafür prompt einen Anschiss eingehandelt.
»Hör auf, freundlich zu mir zu sein!«, hatte Morgan ihn angefahren. »Wenn ich Mitleid wollte, würde ich zu jemand anderem gehen. Ich brauche aber einen Menschen, der mich normal behandelt und nicht, als wäre ich ein verdammtes rohes Ei!«
Aus Schweigen und Unfreundlichkeit war eine Freundschaft geworden, die Logan bestenfalls als sonderbar bezeichnen konnte. Damals hatten sie unzählige Abende zusammen verbracht. Sie hatten geredet, geschwiegen oder getrunken, bis sie nicht mehr gerade stehen konnten, und mehr als einmal war er Zeuge von Morgans Tränen und seiner Verzweiflung geworden. Nächtelang hatten sie über die Experimente, die Gemeinschaft und Pamelas Tod gesprochen, ohne dass Logan dem Mitleid Ausdruck verliehen hätte, das er empfand.
Es hatte Zeit gebraucht, bis es Morgan besser ging, doch schließlich fand er ins Leben zurück. Die Freundschaft, die in dieser Zeit zwischen ihnen gewachsen war, hatte bis heute Bestand. Auch wenn Morgans unerschütterliche Versuche, Logan unter Menschen zu bringen, von Zeit zu Zeit anstrengend sein konnten.
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Morgan die Pizzen bereits in Dreiecke geschnitten und samt Karton auf den Couchtisch gestellt.
»Jetzt sind sie kalt«, beklagte er sich.
»Aber nicht wegen der zwei Minuten, die ich zum Umziehen gebraucht habe.«
»Nein, es liegt wohl eher an der Dreiviertelstunde, die ich vor deiner Tür auf dich warten musste.«
»Für solche Fälle hat ein kluger Kopf das Telefon erfunden.« Logan tat, als hielte er sich einen Hörer ans Ohr. »Hallo? Logan? Bist du zu Hause? Nein? Dann komm ich auch nicht vorbei.« Er ging in die Küche und warf einen Blick in den Kühlschrank. »Willst du ein kaltes Bier zu deiner kalten Pizza?« Als Morgan nickte, nahm er zwei Dosen heraus. Eine warf er dem Bullen zu, die andere riss er auf und trank einen Schluck, bevor er sich auf die
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