Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
nicht durch, ertrage das nicht länger, diesen Gestank, diese grässliche Mischung von Gerüchen nach Blut, Erbrochenem, Kot, Urin, Darminhalt, Schweiß, Angst und Tod. Ich ertrage dieses unablässige Geschrei nicht länger, dieses Geheul,diese blutigen, glitschigen Hände, die sich an mich klammern, als wäre ich wirklich ihre Rettung, ihre Zuflucht, ihr Leben … Ich ertrage die Sinnlosigkeit von dem nicht mehr, was wir hier machen. Denn es ist sinnlos. Eine einzige große, riesige, sinnlose Sinnlosigkeit.
Ich ertrage die Anstrengung und die Erschöpfung nicht. Immerzu bringen sie neue … und neue …
Ich halte nicht durch. Übergebe mich. Werde ohnmächtig. So eine Schande …
»Tuch! Tampon! Darmklemme! Nicht die! Eine weiche Klemme! Pass auf, was du machst! Noch ein Fehler, und ich hau dir auf den roten Dez! Hörst du? Ich hau dir auf den Dez!«
Große Melitele. Hilf mir. Hilf mir, Göttin.
»Na bitte! Gleich besser! Noch eine Klemme, Priesterin! Eine für Adern! Gut! Gut, Iola, weiter so! Marti, wisch ihr Augen und Gesicht ab. Und mir auch …«
Wo kommt dieser Schmerz her?, dachte der Konnetabel Jan Natalis. Was tut mir so weh?
Aha.
Die geballten Fäuste.
»Wir machen sie fertig!«, rief Kees van Lo und ballte die Fäuste. »Wir machen sie fertig, Herr Marschall! Die Linie bricht an der Nahtstelle, wir müssen zuschlagen! Ohne zu zögern zuschlagen, und bei der Großen Sonne, sie wird brechen! Sich auflösen!«
Menno Coehoorn kaute nervös an einem Fingernagel, wurde gewahr, dass man herschaute, und nahm den Finger rasch aus dem Mund.
»Wir müssen zuschlagen«, wiederholte Kees van Lo ruhiger, schon ohne Nachdruck. »Die ›Nauzicaa‹ ist bereit …«
»Die ›Nauzicaa‹ bleibt stehen«, sagte Menno scharf. »Die Daerlanische auch. Herr Faoiltiarna!«
Der Kommandeur der Brigade »Vrihedd«, Isengrim Faoiltiarna,genannt der Eiserne Wolf, wandte dem Marschall sein schreckliches Gesicht zu, das von einer über Stirn, Brauen, Nasenwurzel und Wange laufenden Narbe verunstaltet war.
»Ihr greift an.« Menno zeigte mit dem Streitkolben. »Die Nahtstelle von Temerien und Redanien. Dort.«
Der Elf salutierte. Sein verstümmeltes Gesicht ließ keine Regung erkennen, die großen, tief liegenden Augen änderten nicht den Ausdruck.
Verbündete, dachte Menno. Bundesgenossen. Wir kämpfen gemeinsam. Gegen den gemeinsamen Feind.
Aber ich kann sie überhaupt nicht verstehen, diese Elfen.
Sie sind so anders.
So fremd.
»Merkwürdig.« Rusty versuchte, sich das Gesicht mit dem Ellenbogen abzuwischen, doch auch der war voll Blut. Iola kam ihm zu Hilfe.
»Interessant«, wiederholte der Chirurg und zeigte auf den Patienten. »Mit einer Gabel gestochen oder irgendeiner Art Partisane mit zwei Spitzen … Eine Zinke der Waffe hat das Herz durchstoßen, da, schaut bitte. Die Herzkammer zweifellos durchschlagen, die Aorta fast abgetrennt … Und er hat noch vor einem Augenblick geatmet. Hier auf dem Tisch. Mitten ins Herz getroffen, hat er es bis auf den Tisch geschafft …«
»Wollt Ihr sagen«, fragte der Kavallerist von der Freiwilligen Leichten Reiterei finster, »dass er tot ist? Dass wir ihn vergebens aus der Schlacht getragen haben?«
»Es ist nie vergebens.« Rusty senkte den Blick nicht. »Aber um die Wahrheit zu sagen, ja, er lebt nicht mehr, leider.
Exitus.
Bringt ihn … He, verdammt … Werft mal einen Blick hierher, Mädchen.«
Marti Sodergren, Shani und Iola beugten sich über den Leichnam. Rusty zog das Lid des Toten zurück. »Habt ihr so etwas schon einmal gesehen?«
Alle drei zuckten zusammen.
»Ja«, sagten alle gleichzeitig. Sie schauten einander an, als seien sie ein wenig verwundert.
»Ich auch«, sagte Rusty. »Das ist ein Hexer. Ein Mutant. Das würde erklären, warum er so lange gelebt hat … Das war euer Waffengefährte, ihr Menschen? Oder habt ihr ihn zufällig gebracht?«
»Das war unser Kamerad, Herr Doktor«, bestätigte mürrisch der zweite Freiwillige, ein Lulatsch mit bandagiertem Kopf. »Aus unserer Schwadron, ein Freiwilliger wie wir. Ach, der konnte mit dem Schwert umgehen! Er hieß Coën.«
»Und war Hexer?«
»Ja. Aber ansonsten war er ein anständiger Kerl.«
»Ha«, seufzte Rusty, als er sah, wie vier Soldaten auf einem durchnässten, von Blut tropfenden Umhang den nächsten Verwundeten brachten, einen sehr jungen Mann, danach zu urteilen, mit welch dünner Stimme er heulte. »Ha, schade … Ich hätte mich
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