Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Schlachtgesang:
Hooo-uuuu! Hooo-uuuu! Hou!
Wartet nur, ihr Typen!
Gleich gibt’s auf die Rüben!
Gleich fällt dieses Scheißhaus ein,
dass die Trümmer stieben!
Hooo-uuuu! Hoo-uuuu! Hou!
»Drauf und dran! Die Freikompagnie!« In das donnernde Gebrüll der Zwerge schob sich wie die schmale kantige Klinge eines Misericordes der hohe Sopran Julia Abatemarcos. Die Condottieri lösten sich aus der Formation und führten einen Gegenschlag auf die das Karree angreifende Reiterei. Das war ein wahrlich selbstmörderischer Zug; auf die Söldner, die nicht mehr von den Hellebarden, Piken und Pavesen der Zwerge gedeckt wurden, traf die ganze Wucht des Nilfgaarder Angriffs. Getöse, Gebrüll und Pferdeschreie ließen den Kornett Aubry sich instinktiv im Sattel zusammenkrümmen. Jemand stieß ihn in den Rücken, er fühlte, wie er zusammen mit der im Gedränge feststeckenden Stute in Richtung des größten Gewimmels und des schrecklichsten Gemetzels geschoben wurde. Er fasste denSchwertgriff fester, der ihm plötzlich glitschig und sonderbar unhandlich vorkam.
Einen Augenblick später, durch die Linie der Pavesen hinausgetragen, hieb er schon wie wahnsinnig um sich und warf sich wie wahnsinnig hin und her.
»Noch einmal!«, hörte er den wilden Schrei der Süßen Range. »Noch eine Anstrengung! Haltet durch, Jungs! Drauf und dran! Für den Dukaten, der glänzt wie die Sonne! Mir nach, Freikompagnie!«
Ein Nilfgaarder Reiter ohne Helm, eine silberne Sonne auf dem Umhang, warf sich in die Formation hinein, stellte sich in den Steigbügeln auf, fällte mit einem schrecklichen Hieb der Streitaxt einen Zwerg mitsamt der Pavese, zerschmetterte einem anderen den Kopf. Aubry drehte sich im Sattel und schlug weit ausholend zu. Vom Kopf des Nilfgaarders flog ein reichlich behaartes Fragment fort, er selbst stürzte zu Boden. Im selben Augenblick erhielt der Kornett ebenfalls einen Schlag auf den Kopf und fiel aus dem Sattel. Das Gedränge bewirkte, dass er nicht sofort unten ankam, ein paar Sekunden lang hing er, mit dünner Stimme schreiend, zwischen Himmel, Erde und zwei Pferdeflanken. Doch obwohl er die Furcht mehr als genug ausgekostet hatte, kam er nicht mehr dazu, den Schmerz zu erfahren. Als er fiel, zerschmetterten beschlagene Hufe ihm fast sofort den Schädel.
Als man sie fünfundsechzig Jahre später nach jenem Tage fragte, nach dem Feld bei Brenna, nach dem Karree, das über die Leichen von Freund und Feind zum Goldenen Teich marschierte, lächelte die Greisin, zog das faltige Gesicht, dunkel wie eine Backpflaume, noch mehr in Falten. Ungeduldig – oder vielleicht auch Ungeduld nur vortäuschend – winkte sie mit der zitternden, knochigen Hand ab, die von Arthrose monströs verkrümmt war.
»Keine Seite«, nuschelte sie, »konnte und konnte die Oberhandgewinnen. Wir waren innen. Umzingelt. Sie außen. Und wir haben uns einfach gegenseitig totgeschlagen. Sie uns, wir sie … Kche-kche-chch … Sie uns, wir sie …«
Die Alte überwand mit Mühe einen Hustenanfall. Die unter den Zuhörern, die sich näher befanden, bemerkten auf ihrer Wange eine Träne, die sich mühsam einen Weg zwischen Falten und alten Narben bahnte.
»Sie waren genauso tapfer wie wir«, nuschelte die alte Oma, die einst Julia Abatemarco gewesen war, die Süße Range von der Freikompagnie. »Kch-kchch … Wir waren gleich tapfer. Wir und sie.«
Die Greisin schwieg. Lange. Die Zuhörer drängten sie nicht; sie sahen, wie ihre Erinnerungen sie lächeln ließen. Der Ruhm. Die im Nebel des Vergessens vorbeihuschenden Gesichter derer, die ruhmreich gefallen waren. Die Gesichter derer, die ruhmreich überlebt hatten. Um später heimtückisch von Schnaps, Drogen und Tuberkulose umgebracht zu werden.
»Wir waren gleich tapfer«, schloss Julia Abatemarco. »Keine Seite hatte die Kraft, tapferer zu sein. Aber wir … Wir schafften es, eine Minute länger tapfer zu sein.«
»Marti, ich bitte dich sehr, gib uns noch ein bisschen von deiner wunderbaren Magie! Noch ein kleines bisschen, wenigstens hundert Gramm! Wir haben im Bauch dieses Unglücklichen ein großes Gulasch, noch dazu gewürzt mit einer Menge Drahtringe vom Panzer! Ich kann nichts machen, wenn er mir zappelt wie ein ausgenommener Fisch! Shani, zum Teufel, halte die Haken! Iola! Schläfst du, verdammt? Klemme! Kleemmee!«
Iola holte schwer Luft, schluckte mit Mühe den Speichel hinunter, der ihr den Mund füllte. Gleich werde ich ohnmächtig, dachte sie. Ich halte
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