Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
mal sagen, ist ein Fürst einen Schelm wert.«
»Waas?«
»Euer Graf wird warten, bis er an der Reihe ist.«
»Du elender Halbling!«
»Hilf mir, Shani. Nimm die andere Zange. Pass auf die Arterie auf! Marti, noch ein wenig Magie, wenn ich bitten darf, wir haben hier eine starke Blutung.«
Der Ritter trat einen Schritt vor, mit der Rüstung und mit den Zähnen klappernd. »Ich lasse dich aufhängen!«, zischte er. »Aufhängen lasse ich dich, du Nichtmensch!«
»Schweig, Papebrock«, brachte mit Mühe, sich auf die Lippen beißend, der verwundete Graf hervor. »Schweig. Laß mich hier und geh in den Kampf zurück.«
»Nein, mein Gebieter! Nie und nimmer!«
»Das war ein Befehl.«
Von jenseits der Zeltplane drangen Poltern und Waffengeklirr herein, Pferdeschnauben und wildes Geschrei. Die Verwundeten im Lazarett heulten vielstimmig.
»Wenn ihr bitte schauen wollt.« Rusty hob die Zange, demonstrierte die mit Widerhaken besetzte Spitze. »Dieses Ding hat ein Handwerker hergestellt, dank dieser Produktion hat er seine zahlreiche Familie unterhalten und sich zudem um die Entwicklung des Kleingewerbes verdient gemacht, also auch um den allgemeinen Wohlstand und das Glück der Gesamtheit. Und die Art, wie sich dieses kleine Wunder in menschlichen Innereien festhakt, ist zweifellos patentiert. Es lebe der Fortschritt.«
Er warf das blutige Stück Eisen achtlos in einen Kübel, betrachtete den Verwundeten, der während der Ansprache das Bewusstsein verloren hatte.
Er nickte. »Zunähen und wegschaffen. Wenn er Glück hat, überlebt er. Gebt den nächsten in der Reihe her. Den mit dem zerschmetterten Kopf.«
»Der«, ließ sich Marti Sodergren ruhig vernehmen, »hat seinen Platz in der Reihe zur Verfügung gestellt. Vor einem Moment.«
Rusty atmete tief durch, ging ohne überflüssige Kommentare vom Tisch weg, blieb bei dem verwundeten Grafen stehen. Seine Hände waren schmutzig, die Schürze blutbespritzt wie bei einem Fleischer. Daniel Etcheverry, Graf Garramone, wurde noch bleicher.
»Na«, schnaubte Rusty. »Die Reihe ist an Euch, durchlauchtigster Graf. Legt ihn auf den Tisch. Was haben wir hier? Ha, von diesem Gelenk ist nichts mehr übrig, was man retten könnte. Brei! Matsch! Womit prügelt ihr dort aufeinander ein, Herr Graf, um euch derart die Knochen zu Brei zu schlagen? Na, das wird ein bisschen wehtun, durchlauchtigster Herr. Ein bisschen wehtun. Aber habt bitte keine Angst. Es wird ganz wie in der Schlacht sein. Abbinden. Messer! Wir amputieren, Euer Gnaden!«
Daniel Etcheverry, Graf Garramone, der bis dahin Haltung bewahrt hatte, heulte auf wie ein Wolf. Ehe er vor Schmerz die Kiefer schließen konnte, schob ihm Shani mit rascher Bewegung einen Knebel aus Lindenholz zwischen die Zähne.
»Euer Majestät! Herr Konnetabel!«
»Rede, Mann!«
»Der Freiwillige Haufe und die Freikompagnie halten den Durchgang beim Goldenen Teich … Die Zwerge und die Condottieri stehen fest, obwohl sie schrecklich viel Blut gelassen haben … Es heißt, ›Adieu‹ Pangratt ist gefallen, Frontino gefallen, Julia Abatemarco gefallen … Alle, alle tot! Das Dorianische Banner, das zum Entsatz gekommen ist, ist vernichtet …«
»Die Reserve, Herr Konnetabel«, sagte Foltest leise, aber deutlich. »Wenn Ihr meine Meinung wissen wollt, ist es Zeit, die Reserve an die Front zu werfen. Bronibor soll sein Fußvolk gegen die Schwarzen schicken! Sofort! Sonst zerlegen sie uns die Schlachtordnung, und das wäre das Ende.«
Jan Natalis antwortete nicht; er beobachtete schon von weitem den nächsten Melder, der auf sie zujagte, dass sein Pferd Schaum versprühte.
»Hol Luft, Junge. Hol Luft und rede klar!«
»Die Front … durchbrochen … die Elfen von der Brigade ›Vrihedd‹ … Herr de Ruyter lässt den Herren melden …«
»Was lässt er melden? Rede!«
»Dass es Zeit ist, sein Leben zu retten.«
Jan Natalis hob den Blick zum Himmel. »Blenckert«, sagte er tonlos. »Blenckert soll kommen. Oder es soll Nacht werden.«
Der Boden rings um das Zelt erbebte unter Hufen, die Plane, schien es, wurde von Geschrei und Pferdewiehern geradezu nach innen gedrückt. Ins Zelt kam ein Soldat gestürzt, gleich hinter ihm zwei Sanitäter.
»Leute, flieht!«, brüllte der Soldat. »Rettet euch! Nilfgaard schlägt die Unseren! Vernichtung! Vernichtung! Niederlage!«
»Klemme!« Rusty zog das Gesicht vor einem Blutstrom zurück, einer energischen und lebendigen Fontäne, die aus der Ader
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