Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
herbringen können, weil seine Rüstung dicht ist! Schafft ihn fort. Das ist ein Lazarett, kein Beinhaus!«
»Aber Frau Feldscherin …«
»Versperrt nicht den Eingang! Da, dort bringen sie einen, der noch atmet. Zumindest hat es den Anschein, dass er atmet. Denn vielleicht sind das auch bloß Gase.«
Rusty prustete, runzelte aber sogleich die Brauen. »Shani! Komm sofort her!
Merk dir, Rotznase«, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, über ein aufgeschlitztes Bein gebeugt, »Zy nismus kann sich ein Chirurg erst nach zehn Jahren Praxis erlauben. Kapiert?«
»Ja, Herr Rusty.«
»Nimm den Raspator und zieh die Knochenhaut zurück … Verdammt, man sollte ihn noch ein bisschen betäuben … Wo ist Marti?«
»Sie kotzt hinterm Zelt«, sagte Shani ohne eine Spur von Zynismus. »Wie ein Reiher.«
»Die Zauberer« – Rusty griff zur Säge – »sollten, anstatt sich schreckliche und mächtige Zaubersprüche auszudenken, sich lieber darauf konzentrieren, einen einzigen zu erfinden. So einen, dank dem sie Zauber im Kleinen und Einzelnen wirken könnten. Zum Beispiel zum Betäuben. Aber ohne Probleme. Ohne sich zu übergeben.«
Die Säge fuhr knirschend durch den Knochen. Der Verwundete heulte.
»Stärker abbinden, Iola!«
Endlich gab der Knochen nach. Rusty bearbeitete ihn mit dem Beitel, wischte sich die Stirn ab.
»Gefäße und Nerven«, sagte er mechanisch und überflüssigerweise, denn noch ehe er den Satz beendet hatte, nähten die Mädchen schon. Er nahm das amputierte Bein vom Tisch undwarf es in die Ecke, auf den Stapel der anderen abgetrennten Glieder. Der Verwundete brüllte und heulte seit einiger Zeit nicht mehr.
»Ohnmächtig oder tot?«
»Ohnmächtig, Herr Rusty.«
»Gut. Vernähe den Stumpf, Shani. Her mit dem Nächsten! Iola, geh und schau nach, ob Marti schon alles ausgekotzt hat.«
»Ich frage mich«, sagte Iola leise, ohne den Kopf zu heben, »wie viele Jahre Praxis Ihr habt, Herr Rusty. Hundert?«
Nach einer Viertelstunde Eilmarsch im stickigen Staub brachten die Schreie der Hundertschafts- und Gruppenführer die Wyzimer Regimenter endlich zum Stehen und entfalteten die Linie. Jarre, der schwer atmete und wie ein Fisch mit offenem Munde nach Luft schnappte, sah, wie der Heergraf Bronibor auf seinem schönen, mit Panzerplatten bedeckten Ross die Front abritt. Auch der Heergraf selbst trug vollen Plattenpanzer. Seine Rüstung war mit blauen Streifen emailliert, wodurch Bronibor wie eine riesige Blechmakrele aussah.
»Wie geht’s euch, ihr Trantüten?«
Die Reihen der Pikeniere antworteten mit einem Gemurmel, das wie ferner Donner grummelte.
»Ihr gebt Furzgeräusche von euch«, stellte der Heergraf fest, wendete das gepanzerte Pferd und lenkte es im Schritt die Front entlang. »Also geht’s euch gut. Denn wenn’s euch schlecht geht, dann furzt ihr nicht halblaut, sondern heult und winselt wie die Wahnsinnigen. An euren Mienen sehe ich, dass ihr es gar nicht erwarten könnt, ins Gefecht zu gehen, dass ihr vom Kampf träumt, ganz scharf auf die Nilfgaarder seid! Was, Wyzimer Banditen? Da habe ich eine gute Nachricht für euch! Euer Traum wird jeden Moment in Erfüllung gehen. In einem kleinen, winzigen Momentchen.«
Wieder begannen die Pikeniere zu murmeln. Bronibor hattedas Ende der Linie erreicht, wendete, redete weiter, wobei er mit dem Streitkolben auf den verzierten Sattelknauf hieb.
»Ihr habt genug Staub gefressen, Fußvolk, während ihr hinter den Panzerreitern marschiert seid! Bis jetzt habt ihr statt Ruhm und Beute nur Pferdeärsche zu sehen gekriegt. Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wärt sogar heute, wo es hart auf hart geht, nicht aufs Feld der Ehre gekommen. Aber ihr habt’s geschafft, gratuliere von ganzem Herzen! Hier bei diesem Dorf, dessen Namen ich vergessen habe, werdet ihr endlich zeigen, was ihr als Truppe wert seid. Diese Wolke, die ihr auf dem Felde seht, das ist die Nilfgaarder Reiterei, die vorhat, unsere Flanke aufzurollen, uns mit einem Flankenangriff wegzufegen und in den Sümpfen dieses Flüsschens zu versenken, dessen Namen ich ebenfalls vergessen habe. Euch, den Wyzimer Pikenieren, ist durch die Gnade König Foltests und des Konnetabels Natalis die Ehre zuteil geworden, die Lücke zu verteidigen, die in unseren Reihen entstanden ist. Ihr werdet diese Lücke sozusagen mit der eigenen Brust schließen, indem ihr den Nilfgaarder Angriff aufhaltet. Da freut ihr euch, Gevattern, was? Ihr platzt vor Stolz, he?«
Jarre
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