Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Nilfgaarders zusammen. In der Haltung eines Fötus.
Shani weinte, sie versuchte nicht, die Tränen zu verbergen. Doch die Haken hielt sie fest. Marti nähte ruhig, nur ihre Lippen bewegten sich in einem stummen, tonlosen Monolog.
Rusty, der immer noch nicht aufstehen konnte, setzte sich hin. Sein Blick traf den eines zusammengeduckten, in eine Ecke des Zeltes gedrängten Sanitäters.
»Gib mir einen Schluck Schnaps«, brachte er mit Mühe hervor. »Und sag bloß nicht, du hast keinen. Ich kenne euch Brüder. Ihr habt immer welchen.«
General Blenheim Blenckert stellte sich im Steigbügel auf, reckte den Hals wie ein Kranich, lauschte dem herandringenden Schlachtenlärm.
»Formation entfalten«, befahl er den Offizieren. »Und hinter dieser Höhe gehen wir sofort in Trab über. Aus dem, was die Kundschafter sagen, folgt, dass wir direkt auf den rechten Flügel der Schwarzen treffen.«
»Und ihnen Saures geben!«, schrie mit dünner Stimme einer der Leutnants, eine Rotznase mit seidigem und sehr dünnem Schnurrbärtchen. Blenckert warf ihm einen scheelen Blick zu.
»Die Abteilung mit dem Banner an die Spitze«, befahl er, während er das Schwert zog. »Und beim Angriff ›Redanien!‹ schreien, was die Lungen hergeben! Die Jungs von Foltest und Natalis sollen wissen, dass Verstärkung kommt.«
Graf Cobus de Ruyter hatte seit vierzehn Jahren in verschiedenen Schlachten gekämpft – seit seinem sechzehnten Lebensjahr. Zudem war er Soldat in der achten Generation, er hatte zweifellos etwas in den Genen, das bewirkte, dass der Schlachtenlärm, für jeden anderen einfach ein entsetzliches und alles übertönendes Getöse, für Cobus de Ruyter wie eine Symphonie war, wie einInstrumentalkonzert. De Ruyter hörte neue Noten, Akkorde und Töne sofort aus dem Konzert heraus.
»Hurraaa, Jungs!«, brüllte er und schwenkte den Streitkolben. »Redanien! Redanien im Anmarsch! Die Adler! Die Adler!«
Von Norden her, hinter den Anhöhen hervor, strömte eine Masse von Reiterei auf die Schlacht zu, über ihnen flatterten amarantrote Fahnen und ein großer Gonfalon mit dem silbernen redanischen Adler.
»Verstärkung!«, schrie de Ruyter. »Verstärkung kommt! Hurraaa! Schlagt die Schwarzen!«
Soldat in der achten Generation, sah er augenblicklich, dass die Nilfgaarder den rechten Flügel verkürzten, gegen die im Galopp angreifenden Entsatztruppen eine feste, geschlossene Front zu bilden suchten. Er wusste, dass man ihnen das nicht erlauben durfte.
»Mir nach!«, schrie er und riss dem Fähnrich die Standarte aus der Hand. »Mir nach! Dreiberger, mir nach!«
Sie griffen an. Selbstmörderisch, schrecklich. Aber wirksam. Die Nilfgaarder von der Division »Venendal« gerieten in Unordnung, und da kamen mit großer Wucht die redanischen Banner über sie. Ein riesiger Aufschrei stieg gen Himmel.
Cobus de Ruyter sah und hörte das schon nicht mehr. Ein verirrter Armbrustbolzen hatte ihn geradezu in die Schläfe getroffen. Der Graf hing vom Sattel herab und stürzte zu Boden; die Fahne legte sich wie ein Leichentuch über ihn.
Sieben Generationen von im Kampfe gefallenen de Ruyters, die Schlacht aus dem Jenseits verfolgend, nickten anerkennend.
»Man kann sagen, Herr Rittmeister, dass an jenem Tage ein Wunder die Nordlinge rettete. Oder ein Zusammentreffen von Umständen, das niemand vorhersehen konnte … Restif de Montholon schreibt in seinem Buch zwar, dass Marschall Coehoorn sich bei der Einschätzung der Kräfte und Absichten des Gegners geirrthabe. Dass er ein zu großes Risiko eingegangen sei, als er die Heeresgruppe ›Mitte‹ teilte und die Kavallerie in Marsch setzte. Dass er alles auf eine Karte gesetzt habe, als er die Schlacht annahm, ohne mindestens das dreifache Übergewicht zu haben. Und dass er die Erkundung vernachlässigt habe, die zum Entsatz heranrückende redanische Armee nicht entdeckt …«
»Kadett Puttkammer! Herrn de Montholons ›Werk‹ von zweifelhaftem Wert gehört nicht zum Lehrstoff dieser Schule! Und Seine Kaiserliche Majestät hat beliebt, sich über dieses Buch äußerst kritisch zu äußern! Der Kadett möge also hier nicht daraus zitieren. Wahrlich, das wundert mich. Bisher waren die Antworten sehr gut, geradezu ausgezeichnet, und plötzlich beginnt uns der Kadett hier etwas über Wunder und über das Zusammentreffen von Umständen zu erzählen und erlaubt sich schließlich, die Führungsqualitäten Menno Coehoorns zu kritisieren, eines der größten Feldherren, die
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