Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
einer Stange ein weißer Schild mit einem roten Sparren. Unter dem aufgeschlagenen Zeltrand stand ein Ritter in voller Rüstung und einem weißen Überwurf mit demselben Wappen wie auf dem Schild. Der Ritter musterte mit durchdringendem und ziemlich gierigem Blick die an ihm vorübergehenden Weiber mit Reisig, die Schmiersieder und Teerbrenner mit Bottichen voll Ware, die Hirten, Hausierer und Bettler. Beim Anblick von Geralt und Rittersporn, die im Schritt herangeritten kamen, flammten seine Augen hoffnungsvoll auf.
»Die Dame Eures Herzens«, zerstreute Geralt mit eisiger Stimme die Hoffnungen des Ritters, »wer immer sie sein mag, ist die schönste und tugendhafteste Jungfrau von der Jaruga bis zur Buina.«
»Bei meiner Ehre«, blaffte der Ritter zurück. »Recht habt Ihr, mein Herr.«
Ein blondes Mädchen in dicht mit silbernen Nieten beschlagener Lederjacke übergab sich mitten auf der Straße, vorgekrümmt, und hielt sich dabei am Steigbügel einer Fuchsschimmelstute fest. Zwei zu ihr gehörende junge Männer mit ebensolcher Montur, Schwertern auf den Rücken und Stirnbändern beschimpften mit leicht lallenden Stimmen die Vorübergehenden unflätig. Beide waren merklich betrunken, wankten auf den Füßen, stießen gegen die Flanken der Pferde und gegen den Balken vor der Herberge, wo die Pferde angebunden waren.
»Müssen wir dort wirklich hinein?«, fragte Rittersporn. »Drinnen gibt es vielleicht noch mehr solche netten Früchtchen.«
»Ich bin hier verabredet. Hast du das vergessen? Das hier ist die Herberge ›Zu Hahn und Henne‹, von der auf dem Täfelchen an der Eiche die Rede war.«
Das blonde Mädchen krümmte sich erneut, kotzte krampfhaftund überaus reichlich. Die Stute schnaubte laut, brach aus, riss das Mädchen um und zog es durch das Erbrochene.
»Was gibt’s da zu glotzen, du Holzkopf?«, lallte einer der jungen Männer. »Alter Knacker?«
»Geralt«, murmelte Rittersporn, während er absaß. »Ich bitte dich, mach keine Dummheiten.«
»Keine Angst. Mache ich nicht.«
Sie banden die Pferde an dem Balken auf der anderen Seite der Treppe an. Die jungen Leute beachteten sie nicht mehr; sie waren damit beschäftigt, eine Frau mit einem Kind, die die Straße entlangkam, zu beschimpfen und zu bespucken. Rittersporn warf einen Blick auf das Gesicht des Hexers. Ihm gefiel nicht, was er sah.
Das Erste, was ins Auge stach, nachdem sie die Herberge betreten hatten, war die Aufschrift: KOCH GESUCHT. Das Zweite war eine große Malerei auf einem aus Brettern zusammengenagelten Schild, die ein bärtiges Scheusal mit einer bluttriefenden Axt darstellte. Die Unterschrift lautete: DER ZWERG – DER TÜCKISCHE VERRÄTERWICHT.
Rittersporns Befürchtungen erwiesen sich als begründet. Praktisch die einzigen Gäste der Herberge – abgesehen von etlichen ordentlich betrunkenen Saufbrüdern und zwei dürren Prostituierten mit angemalten Augen – waren weitere in nietenklirrendes Leder gekleidete »Früchtchen« mit Schwertern auf den Rücken. Es waren ihrer acht, beiderlei Geschlechts, aber Lärm machten sie für achtzehn, überschrien einander und fluchten.
»Ich erkenne euch und weiß, wer ihr seid, ihr Herren«, überraschte sie der Wirt, kaum dass er sie erblickt hatte. »Und ich habe eine Nachricht für euch. Ihr müsst euch nach Ulm begeben, in die Gastwirtschaft ›Bei Wirsing‹.«
»Oh.« Rittersporns Stimmung hob sich. »Das ist gut …«
»Was mancher so für gut hält.« Der Wirt begann wieder, einen Humpen an seiner Schürze abzuwischen. »Wenn euch mein Lokalnicht gefällt, das ist eure Sache. Aber ich sage euch, Ulm, das ist das Zwergenviertel, da wohnen Nichtmenschen.«
»Ja und?« Geralt kniff die Augen zusammen.
»Tja, euch macht das sicherlich nichts aus.« Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Weil, der, wo die Nachricht gebracht hat, das war ein Zwerg. Wenn ihr euch mit so einem einlasst … Eure Sache. Eure Sache, mit wem ihr lieber in Gesellschaft seid.«
»Wir sind nicht besonders wählerisch, was die Gesellschaft angeht«, ließ ihn Rittersporn wissen und wies mit einer Kopfbewegung auf die an ihrem Tisch brüllenden und sich rangelnden Rotznasen mit den schwarzen Lederjacken und den Binden vor den pickligen Stirnen. »Aber so eine wie die da gefällt uns entschieden nicht.«
Der Wirt stellte den abgewischten Humpen ab und maß sie mit einem hässlichen Blick. »Verständnis muss man haben«, belehrte er sie nachdrücklich. »Die Jugend muss sich austoben. Es
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