Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Stadt mit seinen vielen Fliegen hinter sich gelassen hatten.
Die Schenke »Bei Wirsing« brauchten sie nicht lange zu suchen. Der erste Passant, den sie trafen, zeigte ihnen ohne zu zögern den Weg.
Auf der Treppe zu der von Wicken und wilden Rosen umrankten Veranda unter dem von grünem Moos bewachsenen und mit Schwalbennestern bedeckten Vordach saßen zwei bärtige Zwerge, die Becher gegen die Bäuche drückten und ab und zu Bier daraus tranken.
»Geralt und Rittersporn«, sagte einer der Zwerge und rülpste vornehm. »Ihr habt lange auf euch warten lassen, ihr Nichtsnutze.«
Geralt stieg vom Pferd. »Grüß dich, Yarpen Zigrin. Ich freue mich, dich zu sehen, Zoltan Chivay.«
Sie waren die einzigen Gäste in der Schenke, die intensiv nach Braten, Knoblauch, Kräutern und noch etwas Undefinierbarem, aber sehr Angenehmem roch. Sie saßen an einem schweren Tisch mit Blick auf den See, der durch die leicht gefärbten Scheiben in den Bleirahmen geheimnisvoll, zauberhaft und romantisch aussah.
»Wo ist Ciri?«, fragte Yarpen Zigrin ohne Umschweife. »Doch nicht etwa …?«
»Nein«, unterbrach ihn Geralt rasch. »Sie kommt hierher. Müsste in Kürze hier sein. Na, ihr Barthelden, erzählt, was bei euch so los ist.«
»Habe ich es nicht gesagt?«, erwiderte Yarpen Zigrin vorwurfsvoll. »Habe ich es nicht gesagt, Zoltan? Er kehrt vom Ende der Welt zurück, wo er, wenn man den Gerüchten glaubt, imBlut gewatet ist, Drachen erschlagen und Kaiserreiche gestürzt hat. Und uns fragt er, was bei uns los ist. Ganz der Hexer.«
»Wonach«, warf Rittersporn schnuppernd ein, »riecht es hier so schmackhaft?«
»Nach dem Mittagessen«, sagte Yarpen Zigrin. »Nach dem Fleisch. Frag doch mal, Rittersporn, wo wir das Fleisch herhaben.«
»Tu ich nicht, weil ich den Witz kenne.«
»Sei kein Frosch.«
»Wo habt ihr das Fleisch her?«
»Kam von selbst angekrochen.«
»Und jetzt im Ernst.« Yarpen wischte sich die Tränen ab, die er vor Lachen vergossen hatte, obwohl der Witz, ehrlich gesagt, einen längeren Bart als der Zwerg hatte. »Mit dem Essen sieht es mau aus, wie eben nach dem Krieg. Fleisch ist nicht zu kriegen, nicht einmal Geflügel, mit Fisch ist es auch schwierig … Schlecht sieht es bei Mehl und Kartoffeln aus, bei Hülsenfrüchten … Die Bauernhöfe sind niedergebrannt, die Magazine geplündert, die Teiche abgelassen, die Felder verwüstet …«
»Der Warenumschlag liegt darnieder«, fügte Zoltan hinzu. »Es gibt keine Einfuhren. Nur Wucher und Tauschhandel funktionieren. Habt ihr den Basar gesehen? Neben den armen Schluckern, die die letzten Reste ihrer Habe verkaufen oder tauschen, sitzen die Spekulanten und machen ein Vermögen …«
»Wenn zu alledem noch eine Missernte kommt, werden im Winter die ersten Leute verhungern.«
»Ist es wirklich so schlimm?«
»Wenn du von Süden hergeritten bist, musst du an Dörfern und Siedlungen vorbeigekommen sein. Erinnere dich, in wie vielen du Hunde hast bellen hören.«
»Verdammt.« Rittersporn schlug sich vor den Kopf. »Ich wusste es … Ich habe dir gesagt, Geralt, dass das nicht normal war! Dass irgendetwas fehlte! Ha! Jetzt geht es mir auf! Man hörte keine Hunde! Nirgends …«
Er verstummte plötzlich, schaute zu der nach Knoblauch und Kräutern duftenden Küche hin, und in seinen Augen zeigte sich Furcht.
»Keine Angst«, prustete Yarpen. »Unser Fleisch ist nicht von der Sorte, die bellt, miaut oder ›Erbarmen!‹ ruft. Unser Fleisch ist etwas ganz anderes. Eines Königs würdig!«
»Verrat es endlich, Zwerg!«
»Als wir euren Brief erhalten hatten und klar wurde, dass wir uns just in Riva treffen würden, haben Zoltan und ich getüftelt, womit wir euch hier bewirten könnten. Wir haben getüftelt und getüftelt, bis uns vor lauter Tüfteln das Pinkeln ankam, also sind wir ins nächste Erlendickicht gegangen. Wir schauen, und da wimmelt es geradezu von Weinbergschnecken. Also haben wir einen Sack genommen und die lieben Weichtiere eingefangen, so viel nur in den Sack passten …«
Zoltan Chivay nickte. »Viele sind uns entwischt. Wir waren nämlich ein bisschen betrunken und sie verteufelt schnell.«
Wieder lachten die beiden Zwerge Tränen über den bejahrten Witz.
»Wirsing« – Yarpen zeigte auf den Wirt, der sich am Herd zu schaffen machte – »weiß, wie man Schnecken zubereitet, und das, müsst ihr wissen, ist ziemlich knifflig. Er aber ist ein begnadeter Küchenmeister. Ehe er Witwer geworden ist, hatte er
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