Die Darwin-Kinder
einen Schritt vor den ausgetrockneten Rändern stehen. Mitch stieg hinunter und richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Vorsprung, auf dem die Muschel lag – der Lohn für sechs Stunden mühevoller Arbeit. Sorgsam hatte er die Fragmente mithilfe von Bürste und Zahnstocher freigelegt.
»Meine Güte«, sagte Bernard. »Wie ist die hierher gekommen?«
»Gute Frage«, erwiderte Mitch. »Hat jemand eine Kamera dabei?«
Kylan reichte ihm ihren Ton, Steine, Scherben-Archivar –
eine Digitalkamera mit der Aufschrift Dyno. Mitch holte die Markierungsbänder heraus, die mit Maßeinheiten bedruckt waren, und gab sie an die Studenten weiter, die sie rings um die Grube herum im rechten Winkel spannten und mit Steinen beschwerten. Danach hielt er seinen Fund mit einer Reihe von Blitzlichtaufnahmen im Bild fest.
Nachdem Bernard Mitch aus der Grube herausgeholfen hatte, blieben alle einen Augenblick mit feierlicher Miene stehen.
»Unser Schatz«, sagte Mitch. Selbst in seinen eigenen Ohren klang das zynisch. »Unsere einzige Hoffnung.«
Fallon Dupres, eine dreiundzwanzigjährige Studentin aus Kanada, die wie ein Mannequin aussah und sich von den meisten Männern strikt fern hielt, reichte ihm eine weitere Dose Coors-Bier. »Eigentlich waren die Funde vom Craig-Damm gar keine Muschelschalen«, teilte sie Mitch mit gedämpfter Stimme mit. »Es waren Wellhornschnecken.«
»Danke«, sagte Mitch, worauf Fallon blasiert den Kopf neigte. Vor drei Tagen hatte sie Mitch regelrecht angemacht.
Mitch vermutete, dass sie jener Typ von attraktiver Frau war, der sich von Alter und Autorität spontan angezogen fühlte, wie gering diese Autorität auch sein mochte. An dieser kleinen Ausgrabungsstätte, an der sich kaum etwas tat, war er der Mann mit der größten Autorität und zweifellos der Älteste. Er hatte ihr Angebot höflich abgelehnt und ihr gesagt, sie sei wirklich sehr hübsch und unter anderen Bedingungen durchaus eine starke Versuchung. Außerdem hatte er so diskret wie möglich angedeutet, dass er innerlich mit solchen Dingen abgeschlossen habe. Sie hatte auf seine Ausflüchte nichts gegeben und ihm unverblümt gesagt, seine Einstellung sei abnormal.
Tatsächlich hatte Mitch mit keiner Frau geschlafen, seit Kaye und er sich letztes Jahr, kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, in Phoenix getrennt hatten. Sie waren übereingekommen, dass jeder seinen eigenen Lebensplan verfolgen solle. Kaye war nach Maryland gezogen, um eine Stelle bei Americol anzunehmen, während sich Mitch auf Wanderschaft begeben hatte, um nach Erdlöchern zu suchen, in denen er sich eingraben konnte.
»Und ich hab immer gedacht, Spiro sei ein korrupter Vizepräsident gewesen«, witzelte Larry Kelly, das schwächste, aber komischste Mitglied der Truppe. »Wie kann eine Muschel unsere Ausgrabungsarbeiten retten?«
Erstaunlicherweise ließ sich Fallon zu einer geduldigen Erklärung herab.
Mitch entfernte sich von der Gruppe, um nachzusehen, ob auf seinem Handy irgendwelche Nachrichten eingegangen waren.
Am Morgen hatte er es während der Arbeit ausgeschaltet und vergessen, es wieder einzuschalten, als er während der sengend heißen Mittagsstunden ein Nickerchen gemacht hatte. Die Mailbox enthielt eine einzige Nachricht; die Nummer kam ihm irgendwie bekannt vor. Mit unbeholfener Handbewegung rief er sie ab und erkannte sofort die Stimme von Eileen Ripper, einer Archäologin, die für Mitch nicht nur Kollegin, sondern auch Freundin war. Eileen hatte sich auf Ausgrabungen im Nordwesten der Vereinigten Staaten spezialisiert. Seit mehr als zehn Jahren hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
»Mitch, ich hab hier eine tolle Sache. Hast du gerade zu tun?
Besser nicht. Wie gesagt, es geht um eine tolle Geschichte. Ich hänge hier mit lauter Frauen herum, kannst dus fassen? Hast du Lust, mal wieder alle Pläne über den Haufen zu werfen?
Ruf mich zurück.«
Mitch blickte zum Plateau hinüber, das nach und nach in der Dunkelheit versank, starrte auf die schwarzen Löcher, an denen Fallon gerade über die Spiro-Muschel referierte. Ihre Zuhörer waren müde bis auf die Knochen und mussten damit rechnen, dass die Ausgrabungsstätte demnächst geschlossen und von Rasenflächen und Betonplatten überdeckt wurde. Er blieb kurz stehen und behielt das Handy in der kraftlosen Hand, während sich seine gesunde Hand anspannte. Der Gedanke, diese Ausgrabungsstätte preisgeben zu müssen, war ihm zuwider, so belanglos es an sich auch sein mochte. Es
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