Die Darwin-Kinder
gemacht, sind von ihr geprägt.
Kaye blickte auf, als habe sie ein Geräusch gehört. Sie berührte ihre Nasenwurzel und sah sich im Labor um, musterte die Reihen weißer, beigefarbener und grauer Geräte, die schwarzen Tischplatten, die Beleuchtungskörper, die wie umgedrehte Eierbehälter von der Decke hingen. Hinter den Augen spürte sie einen sanften Druck, hinten im Kopf das kühle Tröpfeln einer silbrigen Flüssigkeit. Das Gefühl, dass sie nicht allein in diesem Zimmer, nicht allein in ihrem Körper war, wurde immer stärker.
Der Rufer war wieder da. Zweimal in den letzten drei Jahren hatte sie seine Gegenwart sogar drei Tage lang gespürt. Bei jeder dieser Begegnungen war sie entweder auf Reisen gewesen oder hatte termingebundene Arbeiten erledigen müssen und das, was sie inzwischen als sinnlose Ablenkung betrachtete, zu ignorieren versucht.
»Das ist nicht der rechte Zeitpunkt«, sagte sie laut und schüttelte den Kopf. In der Hoffnung, dass ein wenig Gymnastik den Rufer in den Hintergrund drängen würde, stand sie auf, streckte ihre Arme und beugte sich zu den Zehen hinunter. »Geh weg.« Aber er ging nicht weg, sondern machte sich sogar noch deutlicher bemerkbar. Kaye brach in hilfloses Lachen aus und wischte sich die Tränen weg. »Bitte«, flüsterte sie und lehnte sich gegen den Labortisch, wobei sie mit dem Ellbogen gegen einen Stapel von Petrischalen stieß. Als sie die Schalen wieder ordentlich hinstellte, traf der Rufer sie mit voller Kraft, überflutete sie mit wohl tuender Wertschätzung.
Kaye schloss die Augen und beugte sich vor. Ihr ganzer Körper war von dem seltsamen Gefühl des Einsseins erfüllt: Sie war eins mit etwas oder jemandem, der ihr sehr nahe stand, sie durch und durch kannte und dennoch unendliche Schöpfungskraft und Macht besaß.
»Du vermittelst mir das Gefühl, dass du mich liebst«, sagte sie, zitternd vor Ratlosigkeit. »Warum quälst du mich dann?
Warum sagst du mir nicht einfach, was du von mir erwartest?«
Kaye ließ sich vom Labortisch auf einen Stuhl gleiten, der in der Zimmerecke an einem Schreibtisch stand, und beugte den Kopf zwischen die Knie. Sie fühlte sich nicht schwach, nicht einmal benebelt. Sie hätte durchaus herumlaufen und sogar ihrer täglichen Arbeit nachgehen können, wie sie es früher bei solchen Empfindungen getan hatte. Aber diesmal war es ihr einfach zu viel.
Ihr Zorn schwoll so sehr an, dass er sogar gegen die steten Wellen von Wertschätzung und Anerkennung ankam, die sie überfluteten. Als der Rufer das erste Mal Fühlung mit ihr aufgenommen hatte, waren ihr Mitch und Stella genommen worden. Das war so schlimm, so ungerecht gewesen, dass sie jetzt nicht an diese Zeit zurückdenken wollte. Und doch zwang diese neuerliche Bestätigung seiner Existenz sie dazu, sich zu erinnern.
»Geh weg, bitte! Ich weiß nicht, warum du hier bist. Diese Welt ist grausam, selbst wenn du es nicht bist, und ich muss weiterarbeiten.«
Während sie sich auf die Lippen biss, sah sie sich um, betrachtete das Labor, die so ordentlich aufgereihten Geräte, die Dunkelheit jenseits des Fensters. Die Nacht da draußen umgab diese Nische der Helligkeit und Rationalität wie eine Mauer.
»Bitte.«
Sie merkte, wie die Stimme leiser wurde, aber keineswegs an Intensität einbüßte. Wie höflich, dachte sie. Voller Panik, sie könnte den Rufer aufs Neue verlieren, weil er sich vielleicht ganz zurückziehen würde, sprang sie auf.
»Versuchst du, mich auf etwas Bestimmtes hinzuweisen?«, fragte sie verzweifelt. »Willst du mich für meine Arbeit, meine Entdeckungen belohnen?«
Kaye hatte den deutlichen Eindruck, dass all das nicht zutraf.
Sie stand auf, um nachzusehen, ob die Tür auch wirklich abgeschlossen war. Es fehlte noch, dass hier Menschen hereinschneiten und sie bei Selbstgesprächen ertappten.
Danach begann sie, zwischen den Geräten auf und ab zu gehen. »Also willst du dich mit mir verständigen, wenn auch nicht mit Worten«, sagte sie mit halb geschlossenen Augen.
»In Ordnung, ich übernehme das Reden und du lässt mich wissen, ob ich richtig oder falsch liege, ja? Das könnte ein Weilchen dauern.«
Sie hatte schon vor langer Zeit gemerkt, dass eine respektlose Haltung jede Wirkung auf den Rufer verfehlte. Selbst als Kaye sich dafür gehasst hatte, dass sie Mitch im Gefängnis und ihre Tochter in der Schule sich selbst überlassen und ihr gemeinsames Leben zerstört hatte, nur weil sie verzweifelt darauf gesetzt hatte, alle Mittel der
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