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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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künstlerischen Aspekte des Prozesses erkannt, der ihn zu individuellen, logisch oft gar nicht vertretbaren Schlussfolgerungen brachte. Mit außersinnlichen Wahrnehmungen hatte das nichts zu tun.
    Er dachte einfach wie ein Künstler. Oder wie ein Polizist. Die Natur war der effizienteste Serienmörder der Welt. Ein Anthropologe war eine Art Detektiv, dem es in erster Linie nicht um Gerechtigkeit ging – angesichts der ungeheuren Zeitdimensionen und so vieler Todesfälle wäre das auch völlig abwegig gewesen –, sondern darum herauszufinden, auf welche Weise die Opfer umgekommen waren und, noch wichtiger, wie sie gelebt hatten.
    Er wischte sich mit einem Finger den Schlaf aus den Augen und ließ seinen Blick am Flussbett entlang nach Norden wandern, bis zu der tiefen Schlucht, die sich vor langer Zeit durch verschiedene Schichten von verfestigtem Schlamm, Lava und Asche gegraben hatte. Danach drehte er sich um und musterte die L-förmige Ausgrabungsstätte mit ihren Segeltuch-und Plastiküberdachungen, die unter Tarnnetzen verborgen war.
    »Scheiße«, sagte er, selbst fast erstaunt darüber, dass seine Füße ihn von der Ausgrabungsstelle forttrugen und sich einen Weg entlang der Uferböschung bahnten.
    Dieser Bär. Dieser verdammte, rätselhafte Bär, mit dem alles angefangen hat.
    Der Bär war zum Fluss hinuntergestiegen, um sich Fische zu schnappen, und im Ascheregen erstickt, allerdings einige Tage vor der Ankunft der Menschen. Für Menschen dieser Zeit war es ganz natürlich gewesen, die Spur von Bären aufzunehmen, wenn sie ergiebige Fanggründe zum Fischen suchten – in diesem Punkt war er sich so gut wie sicher.
    Irgendjemand hatte den Bärenschädel geborgen, ohne den Kadaver zu zerlegen. Die Knochen wiesen keine Spuren von Einschnitten auf. Und das bedeutete, dass die Verwesung zu diesem Zeitpunkt weit fortgeschritten war und der Bär als ungenießbar gegolten hatte.
    Die Lachse waren im Frühling, Sommer und Herbst in diese Gegend zurückgekehrt, um hier zu laichen und zu sterben. Je nach Jahreszeit waren es verschiedene Fischschwärme und Lachsarten gewesen. Bestimmte Nomadengruppen hatten ihre Wanderungen zeitlich darauf abgestimmt und sich hier niedergelassen, um eine Lachssaison oder auch zwei zur Nahrungsvorsorge zu nutzen, denn dann wimmelte es in den Gewässern von diesen nahrhaften Fischen mit ihrem rötlichen Fleisch.
    Blätter, die sich einfärben. Strömendes Gewässer, frisch und kalt. Große rote Lachse, die sich wie aufgezogene Spielzeugfische in den Stromschnellen tummeln. Bären, die nur darauf warten, den Fluss zu durchwaten, um sich die Fische zu schnappen.
    Aber die meisten Bären waren vermutlich gleich nach dem ersten Ascheregen aufgebrochen und hatten nur einen Tattergreis ihrer Sippe zurückgelassen, weil er zu krank war, um noch weite Strecken zurückzulegen. Vielleicht hatte ihn auch ein Kampf außer Gefecht gesetzt, sodass er hier den Tod erwartete.
    Spekulationen, alles nur Spekulationen, verdammt noch mal.
    Was konnte die Menschen dazu gebracht haben, ohne Rücksicht auf den Ascheregen flussaufwärts zu ziehen? Nicht einmal Hunger konnte sie in diese Gegend verschlagen oder zum Dableiben bewogen haben. Denn wenn es nicht gerade geregnet hatte, musste jeder Schritt eine Wolke von Asche aufgewirbelt und ihnen den Atem genommen haben. In dieser Situation wäre es pure Dummheit gewesen, an den Fischgründen ein Lager zu errichten.
    Es sei denn, auch sie hatten Verfolger auf den Fersen gehabt.
    Genau wie der Bär.
    In der Nacht hatte Mitch von den Knochen geträumt. Es wusste nicht, ob sich Künstler ihre künftigen Werke erträumten oder Detektive ihre Fälle im Schlaf lösten. Aber für ihn war es fester Bestandteil seiner Arbeitsweise, dass er wiederholt von den Menschen träumte, die er in Gräbern oder an den Stätten ihres Todes aufspürte.

    Und manchmal – nein, oft – wiesen ihn die Träume auf Entscheidendes hin.
    Teufel noch mal, in neun von zehn Fällen hatten sich Mitchs Träume als zutreffend erwiesen. Er musste ihnen nur Zeit lassen, sich zu entwickeln, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, dann führten sie zwangsläufig zu einer Lösung. So war es auch bei den Mumien gewesen, die er in den Alpen entdeckt hatte. Monatelang hatte er von ihnen geträumt.
    Aber dazu fehlte hier die Zeit. Er musste sich auf das verlassen, was bestenfalls als Intuition zu bezeichnen war.
    Den wichtigsten Anhaltspunkt hatten ihm nicht die Skelette des Homo erectus, sondern die

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