Die Darwin-Kinder
noch nie an Oliver bemerkt.
»Noch vor einem Jahr hätte der Anblick einer schwangeren Shevitin Panik ausgelöst«, sagte eine Reporterin in das Mikrofon, das an ihrem Revers steckte. Mit ernster Miene blickte sie in eine winzige Kamera, die an ihrem Gürtel befestigt war. »Heute aber…«
Kaye wandte sich ab und weigerte sich, weiter zuzuhören.
Mitch entdeckte Eileen Ripper auf dem Pfad, der von der großen neuen Schutzhütte wegführte. Er hätte sie, selbst wenn sie eine Maske getragen hätte, an ihrem langsamen, bedächtigen Gang erkannt. Sie mochte dieses Spektakel genauso wenig wie er, obwohl sie tatsächlich einen Triumph feiern konnten: Nach fast zwanzigjährigem Rechtsstreit hatte ein Bundesrichter vor drei Monaten entschieden, dass die Fünf Stämme zurückstehen mussten. Künftig würden sie keinen Anspruch mehr auf Überreste von Menschen geltend machen können, die in körperlicher wie zeitlicher Hinsicht so wenig mit ihren Stämmen gemein hatten. Das Innenministerium würde Ausgrabungen wie diesen keinen Riegel mehr vorschieben. Und es würde auch keine Funde und Überreste mehr an die Beschwerdeführer übereignen. Damit war ein lange währender Alptraum für die nordamerikanische Archäologie zu Ende gegangen.
Seltsam, dass Mitch keinerlei Triumph empfand.
Die Knochen, die er – angespornt durch Eileen – entdeckt hatte, waren nur ein Aspekt der ganzen Geschichte gewesen.
Trotz allem hatte er die Motive der Gespenster, die durch diese Landschaft spukten, nicht bis zum Letzten ergründen können.
Vielleicht griffen auch Gespenster zu Lügen, wenn es galt, eigene Entscheidungen zu verteidigen.
Eileen drängte sich durch die Fotografen hindurch und an Blochs Tross vorbei, ohne mehr als ein reserviertes Nicken anzudeuten. Während sie direkt auf Mitch und Kaye zusteuerte und Kaye die Hand hinstreckte, ruhte ihr Blick kurz auf den Mädchen. »Willkommen«, sagte sie mit breitem, nervösem Lächeln. »Und schön, dich wiederzusehen, Mitch. Freut mich, dass du die Familie mitbringen konntest.« Sie machte sich daran, die anderen vorzustellen, die sich vor den Augen der Kameras mehr oder weniger scheu vorwärts bewegten.
Mitch hatte das sichere Gefühl, dass diese Geschichte schlecht ausgehen würde.
Auf dem Flughafen hatten sich LaShawna und Celia sehr über das Wiedersehen mit Stella gefreut. Nachdem sich LaShawna aus der Obhut von John Hamilton befreit und erst Celia, dann Stella an sich gedrückt hatte, waren die drei sofort gemeinsam zur nächsten Damentoilette gegangen – mit den Gerüchen so vieler Menschen für sie alle ein beängstigender Ort, noch schlimmer als das Flugzeug.
LaShawna hatte Stella in eine Kabine gezerrt und wütend geflüstert: »Was machst du nur, Mädchen, wirst gleich zur Wespe und lässt dich schwängern?! War es dieser Junge, Will?«
Celia hatte durch die verschlossene Tür gerufen: »Sie wird’s dir später erklären, lasst uns gehen! Mir gefällt’s hier drinnen nicht!«
Aber es war nur wenig Zeit zum Reden gewesen und schon gar nicht genügend Zeit, um eine Wolke zu bilden und die ganze Geschichte zu übermitteln. Während der Fahrt im Kleinbus waren sie alle stiller und stiller geworden, trotz der Gegenwart von Kaye, Mitch und John. »Deine Mutter sieht gut aus«, hatte LaShawna Stella ins Ohr geflüstert.
Stella hatte sich zurückgelehnt und LaShawna voll ins Gesicht gesehen. »Mama hats erwischt«, hatte LaShawna traurig erklärt, das Kinn auf die Brust sinken lassen, die Knie angezogen und gegen die Sitzlehne gestemmt. »Sie sitzt im Rollstuhl.«
Als der Wind ihr ins Gesicht blies, strich Stella sich das kurze Haar aus den Augen. Gleich darauf stieg sie aus dem Kleinbus und blinzelte in die Kameras. Celia und LaShawna marschierten wie die Entchen hinter ihr her. Die Schwangerschaft verlieh Stella Autorität, ohne dass sie wusste, warum. Es war auf dumme Weise passiert, und noch schlimmer war, dass sie Will verloren hatte. Teilweise war sie deshalb aus Oldstock weggegangen und hierher gekommen: Sie musste einen klaren Blick für ihre gegenwärtige und zukünftige Situation bekommen, denn sie wusste keineswegs, wie lange sie noch in der Siedlung bleiben wollte.
Vermutlich würde sie sich ohne Will nie die kindliche Sehnsucht nach Freiheit erfüllen können, die ihr früher so wichtig gewesen war. Wenn sie das Baby in sich roch und spürte, dachte sie vor allem über Verantwortung nach und darüber, wie sie die kommenden Aufgaben bewältigen
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