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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Pantoffeln mit Gummisohlen herein. Nachdem sie Stella ohne besondere Anteilnahme gemustert hatte, streckte sie ihr eine Flasche mit Erdbeer-Soda hin – das Echte von Nehi, wie Stella am langen Flaschenhals erkannte. Im warmen Licht des Zimmers leuchtete die Flasche knallrot. Wenn Trinket, wie Stella annahm, mindestens fünfzig war, musste seine Mutter um die siebzig sein. Sie war füllig und wirkte aufgrund ihrer sehnigen Arme stark. Ihre pfirsichfarbene Haut wies nur wenige Runzeln auf. Das dünne weiße Haar auf der blassen, straffen Kopfhaut war sorgfältig frisiert. Stella musste an den strapazierten Kopf einer heiß geliebten Puppe denken.
    Obwohl sie Durst hatte, nahm sie die Flasche nicht an.
    »Mutter«, sagte Trinket, »ich habe Stellas Eltern angerufen.«
    »Nicht nötig«, erwiderte die Frau kurz angebunden. »Wir haben genug zu essen im Haus.«
    »Allerdings«, sagte Trinket und blinzelte Stella zu. »Und Hühnchen zu Mittag. Was sonst noch, Stella?«
    »Häh?«
    »Was gibt’s sonst noch zu Mittag?«
    »Das ist kein Spiel«, erwiderte Stella verärgert.
    »Ich würde auf Broccoli tippen«, antwortete Trinket an ihrer Stelle, wobei sich seine Lippen leicht vorstülpten. »Mutter ist eine gute Köchin, hat aber nicht sehr viel Fantasie. Trotzdem: Immerhin hilft sie mir mit den Kindern.«
    »Stimmt«, sagte die Frau.
    »Wo sind sie denn?«, fragte Stella.
    »Mutter tut ihr Möglichstes, aber meine Frau hat besser gekocht.«
    »Sie ist gestorben.« Die alte Frau strich sich mit der freien Hand übers Haar.
    Stella starrte verzweifelt zu Boden. Weit weg, im hinteren Teil des Hauses, hörte sie jemanden sprechen.
    »Sind sie das?«, fragte sie, unwillkürlich gespannt, und deutete auf den langen Gang zu ihrer Rechten, in dem so viele Fotos hingen. Das Stimmengemurmel kam aus dieser Richtung.
    »Ja.« Trinket warf einen kurzen Blick auf das Buch, das Stella immer noch an sich gedrückt hielt. »Deine Eltern haben dich von allem abgesondert, stimmt’s? Wie eigennützig. Nicht wahr, Mutter: Wir wissen, wie egoistisch ein solches Verhalten gegenüber einem Menschen wie Stella ist, oder?«
    »Es macht einsam«, erwiderte seine Mutter, wandte sich unvermittelt um und stellte die Flasche neben der Kerze auf dem kleinen Tisch ab. Gleich darauf rieb sie sich die Hände an der Schürze ab und watschelte über den Gang.
    Die Düfte der Kerze und des Erdbeer-Sodas bildeten ein derart süßliches Gemisch, dass Stella fast schwindlig davon wurde. Außerdem machte ihr die Erinnerung daran zu schaffen, wie Hunde winselten, wenn sie mit Artgenossen zusammen sein wollten, um an ihnen herumzuschnüffeln und Begrüßungen auszutauschen. Sie dachte an die beiden Männer im Texaco-Minimart.
    Du riechst so gut wie ein Hund.
    Ihr lief ein Schauer über den Rücken.
    »Deine Eltern wollten dich beschützen, aber es war trotzdem grausam«, fuhr Trinket fort und beobachtete, wie seine Worte auf sie wirkten.
    Stella heftete den Blick weiter auf den Gang. Der Wunsch, der sie schon seit Wochen verfolgte – sogar schon seit Monaten, wenn sie recht überlegte –, war plötzlich so stark, dass sie sich wie benommen und wegseitig fühlte.
    »Wenn man nicht unter seinesgleichen sein kann, nicht in die Düfte eines anderen Menschen eintauchen kann und nicht so reden darf, wie dir und euch allen der Schnabel gewachsen ist, mit diesen reizenden Doppellauten, dann macht einen das einsam. So einsam, dass es wehtut, stimmt’s?«
    Ihre Wangen fühlten sich heiß an. Trinket betrachtete sie interessiert. »Deine Leute sind so schön.« In seine Augen trat ein weicher Ausdruck. »Ich könnte euch den ganzen Tag zusehen.«
    »Warum?«, fragte Stella scharf.

    »Wie bitte?« Als Trinket erneut lächelte, lag etwas Falsches darin. Stella mochte es gar nicht, wenn sich alle Aufmerksamkeit auf ihre Person konzentrierte. Aber sie wollte unbedingt die anderen kennen lernen – mehr als alles auf der Welt oder im Himmel, wie Mitchs Vater vielleicht gesagt hätte. Stellas Großvater, Sam, war vor fünf Jahren gestorben.
    »Ich betreibe keine staatlich anerkannte Schule, keinen Kinderhort und auch kein Ausbildungszentrum«, bemerkte Trinket. »Allerdings versuche ich, das Wenige, das ich weiß, weiterzugeben. Aber in erster Linie habe ich – haben Mutter und ich – etwas geschaffen, das für kurze Zeit eine Zuflucht darstellt und Schutz vor den grausamen Menschen bietet, die nur Hass und Furcht kennen. Wir haben weder Hass noch Furcht. Wir bewundern euch.

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