Die Darwin-Kinder
Auf meine Art bin ich ein Anthropologe.«
»Darf ich jetzt zu ihnen?«, fragte Stella.
Mit strahlendem Grinsen blieb Trinket auf der Couch sitzen.
»Erzähl mir noch ein bisschen von deiner Mutter und von deinem Vater. In gewissen Kreisen sind sie sehr bekannt.
Deine Mutter hat das Virus entdeckt, stimmt’s? Und dein Vater hat die berühmten Mumien in den Alpen gefunden, die Vorboten unseres eigenen Schicksals.«
Die süßen Düfte im Zimmer mochten es schaffen, einige menschliche Ausdünstungen zu überlagern, aber nicht die Gerüche von Aggression und Angst. Die hätte Stella trotz allem herausgekannt, sie hätten ihre Nase so gereizt wie Edelstahllöffel in Vanilleeis. Trinket roch nicht fies oder ängstlich, deshalb fühlte sich Stella auch nicht unmittelbar bedroht. Allerdings trug er Pfropfen in der Nase. Und woher wusste er so viel über Kaye und Mitch?
Trinket, der immer noch auf der Couch saß, beugte sich vor und griff sich an die Nasenflügel. »Dich beunruhigen diese Dinger.«
Stella wandte sich ab. »Lassen Sie mich die anderen sehen.«
Trinket lachte schnaubend. »Ohne diese Dinger kann ich es nicht mit so vielen von euch aushalten. Ich bin empfindlich, oh ja! Ich hatte eine Tochter, die so war wie du. Bei meiner Frau und mir haben sich auch diese Masken gebildet, wir konnten die besonderen Gerüche unserer Tochter wahrnehmen. Und dann ist meine Frau gestorben, es war ein qualvoller Tod.«
Aufgrund der plötzlichen Gefühlsaufwallung schwammen seine Augen in Tränen. Er starrte zur Zimmerdecke hinauf.
»Sie fehlt mir«, sagte Trinket und klopfte unvermittelt auf das Polster der Couch. »Mutter.«
Gleich darauf trat die alte Frau wieder ins Zimmer, auch jetzt verriet ihre Miene keinerlei Emotion.
»Sieh mal nach, ob die drüben mit dem Mittagessen fertig sind. Und dann wollen wir Stella mit ihnen bekannt machen.«
»Isst sie auch was?«, fragte die Alte, obwohl ihre Augen verrieten, dass es ihr völlig gleichgültig war.
»Ich weiß nicht, hängt von bestimmten Dingen ab.« Fred Trinket sah auf die Uhr. »Ich hoffe, deine Eltern haben sich nicht verfahren. Vielleicht solltest du sie zur Sicherheit anrufen… in ein paar Minuten?«
17
Kaye hielt rechts an der unbefestigten, mit Schlaglöchern übersäten Straße und ließ den Kopf aufs Steuerrad sinken. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber ein paar Mal wären sie mit den Rädern des Toyota fast im Schlamm stecken geblieben.
Sie seufzte. Mitch stieß die Tür auf. »Das ist die Straße. Das ist die Adresse. Scheiße!« Er zerknüllte den Zettel und ließ ihn in eine Pfütze fallen. Das einzige Haus weit und breit war –
offenbar schon seit langem – mit Brettern vernagelt und nach einem Brand halb in Schutt und Asche versunken. Sie waren im Nirgendwo gelandet, umgeben von zwei oder drei Hektar Ackerland, das von Unkraut überwuchert war. Unter dem Schleier des Bodennebels wirkte hier alles trübe und trostlos.
Wolkenfetzen spielten mit der blassen Sonne Katz und Maus.
Die langen grauen Nebelfinger, die nach dem Haus griffen, um es gleich wieder loszulassen, sorgten dafür, dass es abwechselnd in Helligkeit und Dunkel getaucht war.
»Vielleicht hat er sie ja gar nicht in seiner Gewalt.« Kaye sah Mitch durch die offene Wagentür an.
»Möglich, dass ich eine Zahl verwechselt habe«, erwiderte Mitch und lehnte sich an den Wagen.
Als sein Handy klingelte, fuhren sie beide hoch. Mitch zog das Telefon heraus. »Ja?« Nach der Stimmidentifizierung meldete sein Handy, die Nummer des Anrufers sei nicht registriert. Ob er das Gespräch trotzdem entgegennehmen wolle?
»Ja«, sagte er, ohne zu überlegen.
»Daddy?« Die Stimme am anderen Ende klang angespannt und sehr hoch, aber sie klang nach Stella.
»Wo steckst du?«
»Bist du das? Daddy?«
Die Stimme klang so, als stritten sich zwei Vögel miteinander
– allerdings digital verzerrt –, bis sie sich schließlich stabilisierte. Solche Geräusche hatte er von Stella noch nie gehört, er fand sie beunruhigend.
»Ja, ich bins, Liebes. Wo steckst du?«
»In so einem Haus. Ich hab die Hausnummer auf dem Briefkasten gesehen.«
Mitch zog Kuli und Block aus der Innentasche seiner Jacke und notierte Hausnummer und Straße.
»Halt den Kopf hoch, Stella, und lass dich von keinem Menschen anfassen!«, sagte er und bemühte sich, das Schwanken in seiner Stimme zu unterdrücken. »Wir sind schon unterwegs.« Widerstrebend verabschiedete er sich von ihr und legte auf. Er war so wütend,
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