Die Darwin-Kinder
dass sein Gesicht rot wie Sandstein leuchtete.
»Ist sie okay?«
Mitch nickte, klappte dann das Handy wieder auf und wählte.
»Wen rufst du an?«
»Die Landespolizei.«
»Das dürfen wir nicht tun«, schrie Kaye. »Die nehmen sie mit!«
»Zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen«, entgegnete Mitch. »Dieser Kerl ist auf Kopfgeld aus. Und er will uns alle.«
18
In dem Gang, der zum hinteren Teil des Hauses führte, hingen unzählige Fotos. Generationen von Trinkets, wie Stella annahm. Das Spektrum reichte von verblichenen Farbfotos, die in einem einzigen Rahmen zusammengefasst waren und Schnappschüsse zeigten, bis zu größeren, sepiabraunen Drucken. Auf den Drucken waren Männer, Frauen und Kinder zu sehen – allesamt steif gekleidet –, die mit derart gequälter Miene ins Objektiv spähten, als jagten die Augen der Zukunft ihnen Angst ein.
»Unser Vermächtnis«, teilte Fred Trinket ihr mit. »Uralte Gene. Ist jetzt alles über den Haufen geschmissen!« Er grinste und ging ihr voran, wobei seine Schultern bei jedem Schritt auf und ab rollten. Von hinten wirkt er wie ein fetter Mann, dachte Stella. Dicker Hals, dicker Hintern. Aber er hatte stramme Waden, so als ob er viel spazieren ging, obwohl die Beine unter der starken Behaarung eher blass wirkten. Vielleicht machte er seine Spaziergänge vorzugsweise abends.
Trinket drückte eine Außentür auf.
»Gib mir Bescheid, ob sie zu Mittag essen will«, rief Trinkets Mutter aus der Küche, die links auf halber Höhe des Ganges lag. Mrs. Trinket war gerade mit Abtrocknen beschäftigt und der Zipfel eines dunklen feuchten Handtuchs züngelte wie eine Schlange aus der Küchentür.
»Ja, Mutter«, murmelte Trinket. »Hier entlang, Miss Rafelson.«
Er stieg eine kurze Holztreppe hinunter und ging über den Kiesweg zu einem lang gestreckten dunklen Gebäude hinüber, das etwa zehn Schritte weiter lag. Stella fiel eine Hundehütte auf, die allerdings leer war, außerdem ein kleines Karussell von kahlen Wäscheleinen, das sich, obwohl der Sturm abgeflaut war, immer noch langsam drehte.
Und dann kommt Mutter Trinket, dachte Stella, und klammert die Wäsche an die Leinen, sodass sie in schönsten Farben erblühen, denn es ist Frühjahrsputz. Und wenn die Wäsche trocken ist, hängt Mutter Trinket sie wieder ab und stopft sie in ihren Korb, dann wird es wieder Winter. Mutter Trinkets Gesicht verrät zwar niemals Gefühle, aber sie bestimmt in diesem alten Haus, wann jegliches seine Zeit hat. Mutter Trinket – die Herrin über Haus und Hof.
Stellas Mund war trocken, ihre Nase schmerzte. Als sie die Stelle hinter dem Ohr berührte, die juckte, wenn sie nervös war, blieb Wachs am Finger kleben. Sie hätte gern einen Waschlappen genommen und all die alten Gerüche weggewischt, sich gesäubert, ehe sie mit den Kindern im Anbau zusammentraf. Ihr fiel ein neues Wort ein: hersäubern
– aus herrichten und säubern. Das Wort entzückte sie so, dass sie zitterte.
Trinket schloss die Tür zum Anbau auf. Im bläulichen Licht greller Neonröhren erkannte Stella Werkbänke, einen alten Kühlschrank, Stapel von Kartons und, zu ihrer Rechten, eine mit festem Maschendraht verstärkte Tür.
Die Stimmen wurden lauter. Stella meinte, drei oder vier unterscheiden zu können. Sie sprachen auf eine Weise, die Stella nicht verstehen konnte: Der Normalton war leise und kehlig, während sich die Stimmen bei Ausrufen zu hohen Pfeiftönen überschlugen. Irgendjemand hustete.
»Sie sind da drinnen«, sagte Trinket und öffnete die Maschendrahttür mit einem Messingschlüssel, der an einem schmutzigen Bindfaden befestigt war. »Sie sind gerade mit dem Essen fertig. Wir nehmen die Tabletts für Mutter mit zurück.« Er zog die Tür auf.
Stella rührte sich nicht von der Stelle. Nicht einmal die Verlockung dieser Stimmen – die Verlockung, die sie überhaupt hierher gebracht hatte – konnte sie dazu bewegen, einen Schritt weiter zu gehen.
»Da drinnen sind vier, die genauso sind wie du. Sie brauchen deine Hilfe. Ich begleite dich.«
»Wozu das Schloss?«, fragte sie.
»Es fahren hier Leute durch die Gegend. Manchmal haben sie Waffen dabei und ballern einfach drauf los. Es ist hier einfach nicht sicher. Jedenfalls nicht für Menschen wie dich. Seit dem Tod meiner Frau habe ich es mir zur Aufgabe, zur Pflicht gemacht, diejenigen zu beschützen, denen ich auf der Straße zufällig begegne. Grünschnäbel wie dich.«
»Wo ist Ihre Tochter?«, fragte Stella.
»In
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