Die Darwin-Kinder
Idaho.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Oh, das stimmt aber. Man hat sie letztes Jahr abgeholt. Ich hab sie dort noch nie besucht.«
»Hin und wieder lassen sie Besuche von Eltern zu.«
»Den Gedanken, dorthin zu fahren, kann ich einfach nicht ertragen.«
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, genau wie sein Geruch.
»Sie lügen«, stellte Stella fest. Sie konnte spüren, wie ihre Drüsen arbeiteten und juckten. Stella konnte es selbst nicht riechen, konnte eigentlich überhaupt nichts riechen, da ihre Nase so ausgetrocknet war. Aber ihr war klar, dass ihre beschwichtigenden, manipulativen Düfte schwer im Raum lagen.
Trinket schien zusammenzuschrumpfen. Er ließ die Arme hängen, seine Hände entspannten sich. Er deutete auf die Maschendrahttür, wartete auf etwas oder dachte nach. Stella zog sich zurück. Der Schlüssel baumelte vom Bindfaden in seiner Hand. »Deine Leute«, sagte er und kratzte sich an der Nase.
»Lassen Sie uns gehen«, sagte Stella. Es war nicht nur als Vorschlag gemeint.
Trinket schüttelte bedächtig den Kopf und hob gleich darauf den Blick. Sie nahm an, dass sie vielleicht trotz seiner Nasenpfropfen und der Pfefferminze auf ihn einwirken konnte.
»Lassen Sie uns alle gehen.«
Die alte Frau kam so leise herein, dass Stella sie nicht hörte.
Sie war überraschend stark. Sie nahm Stella in den Schwitzkasten, hielt ihre Arme so fest umschlungen, dass Stella wie eine Maus fiepte, und schob sie durch die Tür, wobei Stellas Buch zu Boden fiel. Trinket schwang die Arme hoch, schnappte sich den Schlüssel am Bindfaden, knallte die Tür zu und schloss sie ab, ehe Stella sich umdrehen konnte.
»Sie fühlen sich einsam da drinnen«, sagte Trinkets Mutter zu Stella. Obwohl sie eine Wäscheklammer auf der Nase trug, tränten ihre Augen. »Behindere meinen Sohn nicht bei seiner Arbeit. Fred, vielleicht möchte sie jetzt etwas essen.«
Als Trinket ein Taschentuch herauszog und sich die Nase putzte, sprangen die Pfropfen heraus. Er betrachtete sie mit Abscheu und drückte auf einen Schalter, der in die Wand eingelassen war. Nachdem ein Schloss mit einem Summton aufgeschnappt war, sprang eine weitere mit Maschendraht verstärkte Tür auf. Stella starrte die beiden Trinkets durch die Maschen der ersten Tür an. Sie war so bestürzt und wütend, dass sie zunächst keinen Ton herausbrachte.
Trinket rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. Mit einem leichten Fußtritt beförderte er ihr Buch in die hintere Ecke. »Verdammt«, sagte er. »Sie ist gut, sie hätte mich fast gehabt. Ein teuflisches kleines Stinktier.«
Während Stella zitternd in dem kleinen Vorraum stehen blieb, schaltete Trinket die Neonlampen aus, sodass nur noch der Lichtschein aus den Räumen hinter ihr ein wenig Helligkeit gab.
Eine Hand berührte ihren Ellbogen.
Stella schrie auf.
»Was ist los?«
Sie wich zum Maschendraht zurück und erblickte einen Jungen, der zehn oder elf Jahre alt sein mochte. Er war ein paar Zentimeter größer als sie und, sofern das überhaupt möglich war, noch dünner als Stella. Kratzer verunzierten sein Gesicht, das Haar war ungepflegt und stand büschelweise hoch.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte der Junge, und auf seinen Wangen leuchteten kleine rosa und braune Flecken auf.
Seine goldgesprenkelten Augen folgten ihr, als sie nach links, in die Ecke, auswich und die Fäuste hob.
»Meine Güte«, sagte er mit gerümpfter Nase. »Du bist wirklich arg mitgenommen.«
»Wie ist dein Name?«, fragte sie mit hoher Stimme.
»Was für ein Name?«, erwiderte er, beugte sich vor, drehte den Kopf, sog die Luft vor Stella ein und zog ein säuerliches Gesicht.
»Die haben mir Angst eingejagt«, erklärte sie verlegen.
»Tja, das merke ich.«
»Wer bist du?«, fragte sie.
»Schau mal.« Er beugte sich vor, während auf seinen Wangen wieder die Flecken erschienen.
»Na und?«
Er wirkte enttäuscht. »Manche können’s.«
»Wie nennen dich deine Eltern?«
»Keine Ahnung. Die Kinder nennen mich Kevin. Wir haben draußen im Wald gelebt. Gemischte Gruppe. Aber jetzt nicht mehr. Trinket hat mich geschnappt. Ich war dumm.«
Stella richtete sich auf und ließ die Fäuste sinken. »Wie viele seid ihr hier?«
»Vier, ich eingeschlossen. Und jetzt fünf.«
Erneut hörte sie jemanden husten. »Ist einer von euch krank?«
»Ja.«
»Ich bin noch nie krank gewesen«, bemerkte Stella.
»Ich auch nicht. Freie Form ist krank.«
»Wer?«
»Ich nenne sie Freie Form. Wahrscheinlich
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