Die Darwin-Kinder
legte, um eine Kehre durchzuführen.
Man hatte ihn zu einer Krisensitzung mit dem Minister für Gesundheit und Soziales, der sein direkter Vorgesetzter war, und Vertretern der Nationalen Gesundheitsbehörden einbestellt.
Nachdem er mit einem Knopfdruck die Spülung betätigt hatte, zog er den Reißverschluss hoch, wusch sich gründlich Hände und Gesicht und musterte sich dabei in dem schmalen Spiegel, was dadurch erschwert wurde, dass das Flugzeug aufgrund leichter Turbulenzen schwankte. Sein Gesicht sah so grau und leblos aus, dass es ihn selbst überraschte.
Der Spiegel zeigte stets einen anderen Mann als den, der Mark Augustine gern geworden wäre. Dass er die Leitung eines Netzes von Konzentrationslagern übernommen hatte, war so ziemlich das Letzte, was er sich früher hätte vorstellen können. Trotz der vorzüglichen Bildungseinrichtungen und der Tatsache, dass es keine Todeskammern gab, waren die Schulen genau das: abgeschiedene Lager, die dazu genutzt wurden, eine ganze Generation von Kindern aus dem allgemeinen Verkehr zu ziehen, ohne Hafterleichterungen nach innen oder außen.
Er würde weder inneren Frieden finden noch eine Atempause genießen können. Sein Leben wie das aller anderen Bewohner des Planeten bestand nur noch aus einer einzigen Prüfung, einer schrecklichen Prüfung nach der anderen.
25
Spotsylvania County
Während Stella zusah, wie ihre Eltern das Haus ausräumten, weinte sie still vor sich hin.
Kaye schleppte eine Holzkiste, die mit dem Computer und ihren wichtigsten Büchern und wissenschaftlichen Abhandlungen vollgepackt war, zum Dodge. Im hinteren Teil des Gartens nutzte Mitch ein rostiges Ölfass dazu, Dokumente zu verbrennen.
Kaye trug Stella kurz und bündig auf, die Kleidung, die sie wirklich tragen wollte, in einem einzigen kleinen Koffer zu verstauen. Alles andere müsse sie in einen Müllsack aus Plastik stecken, den sie nur mitnehmen würden, falls im Auto noch Platz sei.
»Das habe ich nicht gewollt«, sagte Stella leise. Entweder konnte oder wollte Kaye ihre Worte nicht verstehen. Jedenfalls hielt sie es wohl für besser, ihrer Tochter nicht gerade in diesem Moment zuzuhören. »Ich mag dieses Haus«, fügte Stella lauter hinzu.
»Ich auch, Liebes, ich doch auch«, erwiderte Kaye mit versteinerter Miene.
In der Küche war Mitch damit beschäftigt, das Handy zu zertrümmern und die kleinen Plastikverkleidungen über der Elektronik abzureißen. Die Reste stopfte er in die Hosentasche.
Er würde sie aus dem Autofenster werfen oder irgendwo in einem anderen Bundesstaat in einer Abfalltonne versenken.
Als Nächstes nahm er sich den Anrufbeantworter vor.
»Mach dir keine Mühe«, bemerkte Kaye, während sie den Plastiksack mit der Kleidung über den Gang zerrte.
»Wahrscheinlich gibt es in ganz Amerika keine Familie, die so sorgfältig abgehört wird wie wir.«
»Alte Angewohnheit«, erwiderte Mitch. »Lass mir meine Illusionen.«
»Ich hab euch Probleme gemacht und bringe euch in Gefahr«, meldete sich Stella. »Ich sollte einfach fort gehen. Ich sollte einfach in so ein Lager gehen.«
»Du bringst uns in Gefahr?« Kaye blieb am Ende des Ganges stehen und wirbelte herum. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Wir sorgen uns wirklich nicht um uns, Stella. Um uns selbst haben wir uns nie Sorgen gemacht. « Ihre Hände wanderten in kleinen Wellenbewegungen von der Hüfte bis hinauf zu den Schultern, gleich darauf verschränkte sie die Arme.
»Ich verstehe nicht, warum das sein muss«, fuhr Stella fort.
»Bitte lass uns doch hier bleiben. Und falls sie kommen, dann kommen sie eben, stimmt’s?«
Kayes Gesicht wurde kreidebleich.
Stella war nicht mehr zu bremsen. »Du sagst, ihr habt Angst um mich, aber habt ihr in Wirklichkeit nicht auch um euch selbst Angst, Angst davor, wie es euch gehen würde, wenn…«
»Halt den Mund.« Kaye war so erregt, dass sie am ganzen Körper zitterte, bedauerte die scharfen Worte aber gleich darauf. »Bitte! Wir müssen hier schnell weg!«
»Ich würde andere kennen lernen, die so sind wie ich. Könnte herausfinden, was wir tun können. Irgendwann muss man uns einfach akzeptieren.«
»Genauso gut kann es passieren, dass die euch alle umbringen.« Mitch baute sich neben Kaye auf.
»Das ist doch Wahnsinn«, erwiderte Stella. »Die eigenen Kinder umbringen?«
Durch die ganze Länge des Ganges von Stella getrennt, standen Mitch und Kaye ihrer Tochter direkt gegenüber.
Offenbar wurde Kaye plötzlich die Symbolik dieser Szene
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