Die Darwin-Kinder
zusammengerollt.
Zwei Tage später hatte ihn Mitch dort aus einem bestimmten Gefühl heraus gesucht und gefunden. Shamus hatte den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und die Füße unter sich gezogen und sah aus, als ob er schliefe. Sie hatten ihn ein paar Meter weiter begraben, eingehüllt in einen Stricklappen aus Afghanwolle, den Shamus vorzugsweise als Bett benutzt hatte.
Mitch hatte erzählt, dass ein solches Verhalten typisch für Katzen sei: Sie zogen sich zurück, wenn sie das Ende nahen fühlten, damit ihre Kadaver keine Raubtiere anzogen und ihre Familie nicht krank machten. Katzen hatten Würde.
»Armer Shamus«, sagte Stella und spähte durch die Heckscheibe. »Jetzt hat er keine Familie mehr.«
26
Sie fuhren und fuhren. Stella erinnerte sich an viele solcher Reisen. Mit brennender Nase, juckenden Fingern und Zehen lag sie auf dem Rücksitz. Sie hatte die Arme eng um sich geschlungen und den Kopf in Kayes oder Mitchs Schoß gebettet, die sich beim Fahren abwechselten.
Mitch strich ihr übers Haar und blickte auf sie herunter. Hin und wieder schlief sie fest. Eine Zeit lang beschäftigte sie sich mit den Wolken und später mit der Sonne, die sie durch die Wagenfenster beobachten konnte. In ihrem Kopf huschten die Gedanken wie Mäuse umher. Sie gab es zwar nicht gern zu, aber sie fühlte sich einsam, auch wenn ihre Eltern bei ihr waren. Da sie solche Gedanken verabscheute, konzentrierte sie sich lieber auf Will, Kevin und Mabel – oder Maybelle –, die so sehr gelitten hatten, weil ihre Eltern dumm oder gemein oder beides gewesen waren.
Der Wagen hielt an einer Tankstelle. Ein glänzendes Metallschild reflektierte die Nachmittagssonne so grell, dass Stella die Augen wehtaten, als sie durch die klapprige Metalltür in die Toilette trat, die leer war, aber eng und scheußlich aussah. Die Fliesen an der Wand waren verdreckt und gesprungen. Sie schaffte es bis zur Toilettenschüssel, übergab sich und wischte sich Gesicht und Mund ab.
Inzwischen stach es hinter ihren Ohren so, als seien dort lauter kleine Bienen am Werk. Im Spiegel sah sie, dass ihre Wangen keine Farbschattierungen mehr hervorbrachten. Sie waren so bleich wie die von Kaye. Stella fragte sich, ob sie sich gerade verwandelte, um ihrer Mutter ähnlicher zu werden.
Vielleicht war die Existenz als Virus-Kind nur ein Stadium, das man irgendwann hinter sich ließ, wie ein Geburtsmal, das langsam verblasste.
Als Mitch das Steuer übernahm, tastete Kaye die Stirn ihrer Tochter ab. Inzwischen war die Sonne untergegangen und der Sturm hatte sich gelegt. Stella lag in Kayes Schoß und hatte ihr Gesicht fast ganz hineingegraben. Sie atmete schwer. »Dreh dich um, meine Süße«, sagte Kaye. Stella wälzte sich herum.
»Dein Gesicht ist ganz heiß.«
»Ich hab vorhin brechen müssen«, erklärte Stella.
»Wie weit ist es zur nächsten Siedlung?«, fragte Kaye Mitch.
»Nach der Karte rund dreißig Kilometer. Wir werden bald in Pittsburgh sein.«
»Ich glaube, sie ist krank«, sagte Kaye.
»Es ist aber nicht Shiver, Kaye, oder?«, fragte Stella.
»Shiver kannst du gar nicht bekommen, Liebes.«
»Mit tut alles weh. Ist es Mumps?«
»Du bist gegen alles geimpft.« Allerdings war Kaye klar, dass so etwas gar nicht möglich war. Niemand wusste bislang, für was die neuartigen Kinder anfällig sein mochten. Stella war bis jetzt niemals krank gewesen, hatte weder Erkältungen noch Grippe gehabt, nicht einmal irgendeine bakterielle Infektion.
Kaye hatte angenommen, die neuartigen Kinder könnten über verbesserte Immunsysteme verfügen. Allerdings hatte Mitch diese Theorie nie unterstützt, deshalb hatten sie Stella nach und nach gegen alles Mögliche impfen lassen, nachdem die Nationalen Gesundheitsbehörden die herkömmlichen Impfstoffe widerwillig auch für die neuartigen Kinder freigegeben hatten.
»Vielleicht hilft ein Aspirin«, sagte Stella.
»Ein Aspirin würde dich noch kränker machen«, erwiderte Kaye. »Das weißt du doch.«
»Dann Tylenol«, schlug Stella vor und schluckte schwer.
Kaye schenkte ihr etwas Wasser aus einer Flasche ein und hob ihren Kopf, damit sie trinken konnte. »Tylenol ist auch nicht gut«, murmelte Kaye. »Du bist was ganz Besonderes, Liebes.«
Sie zog Stellas Augenlider hoch, eines nach dem anderen.
Die Iris waren trübe, die kleinen goldenen Flecken wie mit einem Schleier überzogen. Stellas Pupillen waren zu Stecknadelgröße geschrumpft. Die Augen wirkten ebenso ausdruckslos wie die Wangen. »So
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