Die Darwin-Kinder
sie sollte sowieso in ein Krankenhaus. Mir fehlt für so etwas einfach die Ausrüstung.«
»Kein Krankenhaus wird sie aufnehmen«, sagte George. »Die verweigern uns die Betten.«
»Das ist eine Schande.« Die Stimme des Arztes klang flach vor Erschöpfung. Er sah George an. »Es könnte übertragbar sein. Sie sterilisieren dieses Badezimmer wohl besser und kochen die Laken aus.«
George nickte.
»Mir ist jemand eingefallen, der vielleicht helfen könnte«, raunte Mitch Kaye zu, während er sie auf die Seite zog.
»Christopher?«
»Ruf ihn an. Frag ihn, was los ist. Du hast seine Telefonnummer.«
»Seine Privatnummer, zu Hause, aber die ist schon alt. Ich weiß nicht genau, wo er jetzt arbeitet.«
Inzwischen hatte der Doktor über sein Telefon, das Internet-Anschluss hatte, einen speziellen Ärzte-Dienst der Nationalen Gesundheitsbehörden abgerufen. »Die haben keine Warnung herausgegeben«, sagte er. »Allerdings habe ich da auch noch nie Warnungen vor Kinderkrankheiten gesehen, die Virus-Kinder betrafen.«
»Neuartige Kinder«, berichtigte George.
»Ist es eine Krankheit, die man melden muss?«, fragte Kaye.
»Sie ist hier nicht einmal aufgeführt«, erwiderte der Arzt, aber irgendetwas in seiner Miene beunruhigte Kaye. Der NuTest. Er ist über das globale Positionierungssystem zurückzuverfolgen und über Funk mit dem Gesundheitsministerium verbunden. Und von da aus mit den National Institutes of Health oder den Centers for Disease Control. Da bin ich mir sicher.
Aber da sie nichts dagegen unternehmen konnten, tat sie es mit einem Schulterzucken ab.
»Ruf an!«, bat Mitch.
»Ich weiß nicht, für welche Stelle er inzwischen arbeitet.«
»Wir haben ein Satellitentelefon, das nicht abgehört werden kann«, sagte George. »Und niemand kann das Gespräch zurückverfolgen. Uns ist das aber sowieso egal. Unser Sohn ist bereits in einem Lager.«
»Es gibt nichts, das völlig sicher ist«, erklärte Mitch.
George schien Einwände erheben zu wollen. Offenbar empfand er Mitchs Bemerkung als Verunglimpfung dieser geheimnisvollen Technologie, die er in typisch männlicher Haltung hochhielt.
Kaye streckte beschwichtigend die Hand hoch. »Ich rufe an.«
Zum ersten Mal nach mehr als neun Jahren würde sie wieder mit Christopher Dicken sprechen.
Aber sie erreichte nur den Anrufbeantworter in seiner Wohnung. »Hier ist Christopher Dicken. Ich bin unterwegs, aber in meinem Haus wimmelt es von Ringkämpfern und Polizisten. Außerdem möchte ich daran erinnern, dass ich seltsame Seuchenerreger sammle und sie direkt neben meinen Wertsachen aufbewahre. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«
»Christopher, hier ist Kaye. Unsere Tochter ist krank. Hat irgendwie mit dem Coxsackie-Virus zu tun. Rufen Sie an, falls Sie uns irgendeinen Hinweis oder Rat geben können.«
Und sie gab die Nummer durch.
35
Ohio
Die medizinischen Einrichtungen grenzten südwestlich an den Geräteschuppen samt Fuhrpark. Es waren zwei flache Gebäude, die durch einen kleinen Gang mit vergitterten Fenstern miteinander verbunden waren. Die grelle Sicherheitsbeleuchtung warf trapezförmige Schatten über den betonierten Hof zwischen beiden Blöcken, sodass der Junge, der dort ganz allein saß, kaum zu sehen war. Er mochte zehn Jahre alt sein, war hoch aufgeschossen und stämmig. Mit verschränkten Armen lehnte oder kauerte er an der Tür, die zum Flügel mit den Forschungseinrichtungen führte.
»Wer bist du?«, rief Middleton.
»Toby Smith, Ma’am«, erwiderte der Junge und richtete sich auf. Er schwankte und starrte sie aus müden leeren Augen an.
»Bist du krank, Toby?«
»Mir fehlt nichts.«
»Wo ist der Arzt?« Middleton brachte den Elektrokarren drei Meter vor dem Jungen zum Stehen. Dicken sah, dass er bleiche Wangen hatte, die kaum Tupfen aufwiesen.
Der Junge drehte sich um und deutete auf den Forschungstrakt. »Dr. Kelson ist in der Sporthalle. Meine Schwester ist gestorben.«
»Das tut mir Leid, Toby«, sagte Dicken und schwang sich aus dem Sitz. »Tut mir wirklich sehr Leid. Auch meine Schwester ist gestorben, allerdings ist das schon länger her.«
Dicken ging auf ihn zu. Die Augen des Jungen waren verschwollen und verkrustet.
»An was ist Ihre Schwester gestorben?«, fragte Toby und sah Dicken mit zusammengekniffenen Augen an.
»An einer Krankheit, die sie durch einen Moskitostich bekam. Das nannte man West-Nil-Virus. Darf ich mal deine Finger sehen, Toby?«
»Nein.« Der Junge verbarg die Hände hinter dem
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