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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz
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jetzt um alles.
    Aus dem kargen Restbudget wird Geld für eine kleine Werbekampagne zusammengekratzt, es soll schließlich halbwegs plausibel aussehen. Alexander macht sich ans Werk, binnen zwei Wochen, parallel zur Werbekampagne, verdoppelt sich anscheinend wie von Zauberhand die Zahl der aktiven Nutzer von MyBelovedPet. Paul kann mit neuen, besseren Zahlen zu den Investoren gehen. Die Finanzierungsverhandlungen kommen wieder in Schwung, so scheint es.
    Zehn Tage vor Ultimo liegt ein Vertrag für ein Investment auf dem Tisch. Das Geld auf der Bank würde nicht mehr für die nächste Miete und die ausstehenden Gehälter reichen. Die ersten Mitarbeiter haben angefangen, sich nach Alternativen umzusehen, oder sich krank gemeldet, mit der informellen Ansage, daß eine Gehaltsüberweisung ihrer Genesung sehr zuträglich wäre. Die Einnahmen aus Werbung und Verkaufsvermittlungen fließen zwar, reichen aber gerade aus, um die Kosten für Server-Miete und Internet-Anbindung zu decken. Es gibt keinen Ausweg mehr.
    Zähneknirschend nehmen sie daher ein Finanzierungsangebot eines neuen, zweiten Investors an, das die Firmen-Anteile der drei Gründer um mehr als die Hälfte reduziert, dafür aber eine Million Euro frisches Geld bringt. Der Angel-Investor macht gute Miene zum schlechten Spiel, immerhin hat er sein Geld nicht verloren. Das Rad dreht sich weiter.
    Die Bedingungen des neuen Investors sind hart. Aktienanteile für neue, qualifizierte Mitarbeiter, der sogenannte Optionspool, müssen jeweils bereitgestellt werden, da diese ohne eine Beteiligung kaum bereit wären, für einen Start-up-Lohn zu arbeiten. Strikte Umsatzziele müssen erreicht, Nutzerzahlen und -aktivitäten gesteigert, neue Verkaufspartner gewonnen werden. Werden die Vorgaben nicht erfüllt, fallen weitere Anteile an den neuen Investor. Die Million soll laut neuem Businessplan für acht Monate reichen. Für den Ausbau aller geplanten neuen Funktionen muß schließlich neues Personal angestellt und ein Umzug in neue, größere Firmenräume bewältigt werden.
    Der Druck, endlich richtigen Umsatz, der die Firma trägt, zu erwirtschaften, steigt enorm. Wenn die im Investitionsvertrag festgelegten Meilensteine nicht erreicht werden, reduzieren sich die Aktienanteile aller – außer denen des neuen Investors, der jeweils seinen Anteil steigert. MyBelovedPet muß es in den nächsten sechs Monaten schaffen, die Anzahl der Nutzer zu verdoppeln, den durchschnittlichen Umsatz pro Nutzer zu verdreifachen und mehrere Partner mit einem signifikanten Umsatzpotential für die nächsten drei Jahre zu gewinnen.
    Solche Zielvorgaben wären in jeder anderen Branche vollkommen utopisch. In der Welt der Internet-Start-ups ist das normal, wenn auch keinesfalls immer realistisch. Investitionsvereinbarungen mit derartigen Meilenstein-Vorgaben funktionieren in den seltensten Fällen so, wie sich die Gründer das vorgestellt haben. Peter, Paul und Mary hätten aber keine andere Wahl mehr gehabt. Mit dem Ausreizen der verfügbaren Finanzreserven bis zum Anschlag hat sie der neue Investor in eine Position manövriert, in der sie keine Alternativen mehr hatten. Das ist sein täglich Brot, er spielt das Spiel mehrmals pro Jahr.
    Getrieben von der Angst vor weiterem Anteilsverlust und dem Willen, in der nächsten Investitionsrunde nicht mehr so schlecht dazustehen, stürzen sich unsere drei Gründer in die Arbeit. Das Bienchen-System wird ausgeweitet. Tierärzte und andere Werbepartner erhalten zukünftig Vergünstigungen, wenn sie die Abwicklung ihrer Dienstleistungen, wie etwa die Terminvereinbarung, an MyBelovedPet delegieren.
    Es gilt, die Datentiefe zu vergrößern, mehr über jedes Haustier, jeden registrierten Tierliebhaber zu erfahren, um seinen Wert für das Unternehmen zu steigern. Die Rechnung ist einfach: Je gezielter die Angebote sind, die dem Nutzer gemacht werden, desto wahrscheinlicher wird er zugreifen und Geld ausgeben, ob nun by MyBelovedPet selbst oder bei einem der Partner. Das bringt so oder so Umsatz in die Kasse. Zusätzlich steigt der Wert des Unternehmens in den Augen der Investoren, die mehr Umsatzpotential in besser ausgeforschten Teilnehmern sehen.
    Doch das frische Geld schwindet schnell. Professionelle Designer und Programmierer kosten Unsummen, nicht jeder läßt sich mit den an Aktienanteile geknüpften vagen Versprechungen auf zukünftigen Wohlstand dazu bringen, ein karges Gehalt zu akzeptieren. Kaum ist die Finanzierungsrunde bewältigt, muß schon

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