Die Datenfresser
aufgrund der stillen Beteiligung der Investitionsbank verschoben, die Gründer können erst mal aufatmen.
Trotzdem rückt die nächste Finanzierungsrunde bedrohlich näher. Paul und Peter sind wieder auf Achse, sie träumen davon, eine sogenannten strategischen Investor zu finden, einen mit ausgeprägtem Interesse im Marktsegment, in dem MyBelovedPet unterwegs ist. Aber auch die Konkurrenz schläft nicht. PetLove.com, der schärfste Wettbewerber, hat – so die Start-up-Gerüchteküche – ein Zehn-Millionen-Investment praktisch unterschriftsreif.
Wenn es MyBelovedPet nicht gelingt, Geld in ähnlicher Höhe aufzutreiben, wird ein Mithalten im Kampf um die Nutzer und ihre Daten kaum machbar sein. Es geht mal wieder um die Existenz, trotz gestiegener Umsätze ist das Unternehmen weit von der Profitabilität entfernt. Die laufenden Kosten für die vielen neuen Software-Entwickler, Designer, Werbekundenbetreuer und für den Betrieb der stark gewachsenen Webserver-Farm fressen das verbliebene Kapital mit atemberaubender Geschwindigkeit auf.
Der »Exit«
Zwei Monate vor dem Zeitpunkt, den Peter als letzten möglichen Tag für ein neues Investment errechnet hat, eröffnet sich eine interessante Perspektive. Die Pet & Hobby International Group, ein Schwergewicht der Branche mit Sitz in Dublin, die diverse Tier-Publikationen herausgibt und die dazugehörigen Webseiten betreibt, möchte ins Gespräch kommen. Meetings folgen, Zahlen und Statistiken zur Nutzerentwicklung werden präsentiert, der Investitionsbedarf debattiert.
Am Ende legt Pet & Hobby einen unerwarteten Vorschlag auf den Tisch: Man möchte MyBelovedPet vollständig übernehmen und in den internationalen Unternehmensverbund eingliedern. Die Investoren finden die Idee brillant. Die drei Gründer sind sich hingegen nicht ganz so sicher, ob sie den plötzlichen Umschwung so hervorragend finden. Man kennt Pet & Hobby zwar als zuverlässigen, hart verhandelnden Werbepartner. Die Firma drängte aber auch immer wieder auf noch umfassendere und tiefergehende Datenübermittlung.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Die Investoren übernehmen mehr und mehr das Ruder bei den Verhandlungen. Gemeinsam mit der Investitionsbank, die im Vertrag über die stille Beteiligung ein paar unauffällige Klauseln für genau diesen Fall vorgesehen hat, haben sie genug Stimmanteile an MyBelovedPet, um im Ernstfall die Gründer zu überstimmen und einen Verkauf auch ohne deren Zustimmung anzuordnen. Der sogenannte Exit steht in Aussicht, der Zeitpunkt, auf den die Investoren hoffen, um ihr Geld möglichst mehrfach wiederzubekommen.
Peter beobachtet mit gewisser Faszination, wie die Mechanismen zur Bewertung des Unternehmens, die er im Seminar gelernt hat, Wirklichkeit werden. Die Schlüsselszene erinnert ein wenig an einen schlechten Film. Im Besprechungsraum sitzen die Anwälte und Wirtschaftsprüfer von Pet & Hobby, eine Beratercrew des Angels und des zweiten Investors sowie der Vertreter der Investitionsbank. Auf dem Beamer erscheinen Tabellen mit Zahlen.
Die Zahlen sind die Statistiken über das Nutzerverhalten, extrahiert von Alexander unter der Aufsicht eines von Pet & Hobby beauftragten Wirtschaftsprüfers. Nun geht es ans Segmentieren der Nutzergruppen. »Zerlegen und Filetieren« nennt das einer der Anwälte von Pet & Hobby. Die drei Gründer sind nur noch Statisten, gelegentlich befragt zur Bedeutung dieser oder jener Funktion bei MyBelovedPet.
Nachdem die Nutzerbasis anhand ihres Verhaltens in fünf Gruppen zerteilt ist, geht das Gefeilsche über den Wert eines Nutzers in jedem der Segmente los. Für die aktivsten, loyalsten MyBelovedPet-User bietet der Käufer 23 Euro pro Kopf. Das ist der errechnete Profit, den sie in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einem Nutzer in dieser Kategorie erzielen wollen.
Mit Hilfe der präzisen Datenbasis, die MyBelovedPet über dessen Haustier, seine Vorlieben, seine Abonnements, sein Einkommen, seine Freunde und seine nicht nur tierbezogenen Einkäufe gesammelt hat, erscheint diese Summe als ein vermutlich sogar realistisches Ziel. Die Mitglieder der Plattform in der Gruppe A haben außer Namen, Geburtsdatum, E-Mailadresse und Postadresse auch detaillierte Angaben über Hobbys und Mitgliedschaften in Tiervereinen gemacht. Über siebzig Prozent der Gruppe A haben zudem eine Art Haustierhalter-Lebenslauf und etliche weitere Angaben über sich online gestellt, da dies bei vielen Züchtern, die auf MyBelovedPet.com unterwegs sind,
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