Die Datenfresser
Bankverbindungen oder Angaben zum Beruf gesellschaftsfähig werden, sind nicht feststehend für alle Zeiten. Betont wird daher – nicht nur im Hause Google – der soziale Aspekt der Kommunikation und die Bedeutung von Wissen für die menschliche Gemeinschaft.
Entsprechend wählt Vinton Cerf, Vizepräsident und »Chief Internet Evangelist« von Google, einen historischen Vergleich, um die gewünschte zukünftige Ideologie zu umreißen: »Seit die Menschen damals verstanden haben, daß Informationen hilfreich für ihr Überleben sind – etwa zu wissen, welches Tier ein Säbelzahntiger ist und welches ein Rind –, wollten sie alle möglichst viele Informationen besitzen. Nun aber stellt sich heraus, daß sie eines noch viel mehr wollen – Informationen mit anderen teilen. Millionen Menschen wollen uns dabei helfen, unsere Mission zu erfüllen: Alle Informationen der Welt ins Internet zu transportieren, sie zu ordnen, zu demokratisieren.« Daß diese Informationen gleichzeitig monetarisiert werden, unterschlägt er dabei. Auch daß von alters her geschützte Geheimnisbereiche selbstverständlich sind, erwähnt Cerf nicht. Daß seit dreitausend Jahren beispielsweise der Eid des Arztes eine Schweigepflicht begründet, paßt wohl nicht recht ins geschäftliche Engagement bei Googles Genomdatenbanken oder im Bereich »Google Health«, wo umfangreiche medizinische Daten aggregiert werden.
Ein erfolgreiches Geschäftsmodell hat allerdings mit Vertrauen zu tun, der Erwartung, daß Google mit den ihm anvertrauten Informationen schon kein Schindluder treiben wird, sondern nur – wie versprochen – die Werbung besser personalisiert und die Suchergebnisse und Dienstleistungen an den Nutzer anpaßt. Es ist die Hoffnung auf den inoffiziellen Google-Leitspruch »Don’t be evil«, der passenderweise quasireligiös daherkommt: Man muß eben dran glauben.
Die Mission des Eric Schmidt ist also klar: Er versucht, die sozialen Normen schleichend in die gewünschte Richtung zu ändern, um auch in Zukunft sein Geschäftsmodell erhalten und expandieren zu können. Das ganze Konzept der Privatsphäre stellt er dabei zur Disposition, um weiterhin die Werbeeinnahmen fließen zu lassen, deren Anteil am Umsatz bei Google weit über neunzig Prozent ausmachen.
Dazu wird zum einen der Eindruck der Unausweichlichkeit erweckt. Die technologische Entwicklung und der einhergehende Verlust der Datenkontrolle wird als alternativlos dargestellt: Jeder tut es, es ist total normal, wer nicht mitmacht, ist anachronistisch, ein verkappter Luddit, oder er hat das Internet nicht verstanden. Privatsphäre ist etwas von gestern, die Informationen sind doch sowieso vorhanden, warum soll man sich also noch Sorgen machen und auf seiner informationellen Souveränität beharren? Diese oft wiederholte Argumentation der Unausweichlichkeit führt soweit, daß nicht wenige Menschen bereits heute der Überzeugung sind, es wäre vollkommen sinnlos, den Kampf gegen die Datenfresser überhaupt erst aufzunehmen – frei nach der Devise »Sie wissen ohnehin schon alles über mich«.
Das Dilemma, daß sowohl personalisierte Informationsangebote als auch eine respektierte Privatsphäre erstrebenswerte Annehmlichkeiten sind, ist so neu nicht. Schon vor dem digitalen Zeitalter wurde uns bewußt, daß wir manchmal das eine für das andere aufgeben müssen. Für den Kauf einer Ware oder Dienstleistung, die man mit guter Beratung erwerben möchte, sollte man dem Fachverkäufer auch nicht die eigenen Wünsche verheimlichen. Um maßgeschneiderte Waren und Dienstleistungen offeriert bekommen zu können, müssen wir Informationen über unsere Vorlieben preisgeben. Oder andersrum gesagt: Je weniger wir preisgeben, desto weniger passend auf unsere Wünsche und Vorstellungen werden die Angebote sein. Der Unterschied in der heutigen Datenwelt besteht aber darin, daß die Offerten heute erst aufgrund der Menschenprofile gemacht werden und daß oft ein unüberblickbares Informationsgefälle zwischen Kunde und Anbieter klafft.
Googles Allwissen
Doch die Nutzer selbst sind nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sind die Werbekunden, die vom Prinzip der Datensparsamkeit ebensowenig halten wie Google. Die Verfügbarkeit komplexer individualisierter Datenprofile hat die Werbebranche komplett umgekrempelt, und die Gier nach mehr und besseren Zielgruppendaten ist ungebrochen. Wer es genauer, aktueller, vor allem aber umfassender wissen will, kommt um Googles Allwissen
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