Die Datenfresser
Technologie als sinnvolle Ergänzung bei Ausweisdokumenten beworben und im Falle des Erfolges in die Paßgesetzgebung aufgenommen.
Von den USA aus begann so eine erste Welle der Biometrieausbreitung. Als die amerikanische Regierung beschloß, eine visumfreie Einreise im Rahmen des sogenannten Visa-Waiver-Verfahrens nur noch für Staaten zuzulassen, deren Bevölkerung Biometriepässe besitzt, startete wie auf Knopfdruck eine weltweite Nachfrage. Etwa fünfzehn Millionen Menschen aus 27 teilnehmenden Ländern reisen jährlich in die USA im Rahmen des Visa-Waiver-Programms für bis zu neunzig Tage ein. Den Biometriefirmen wurde ein neuer Milliardenmarkt eröffnet, der seinesgleichen sucht.
Als diesen Ländern von den USA eine Frist bis Oktober 2006 gesetzt wurde, um biometrische Pässe einzuführen, steigerten sich schlagartig die Umsätze der Biometrieindustrie. Allein in den USA selbst wurde eine Milliarde Dollar in den Aufbau der weltweit größten Sammlung digitaler Menschenkörpermerkmale gesteckt. Das Projekt mit dem Namen »Next Generation Identification« wurde beim FBI angesiedelt.
Wenige Jahre nach der Jahrtausendwende war der Prozeß der Umstellung der Pässe auf die neue Technologie in vielen Ländern weltweit bereits abgeschlossen, meist wurden digitale biometrische Frontalgesichtsbilder in die Dokumente aufgenommen, in manchen Ländern – wie etwa in Deutschland – zusätzlich auch Fingerabdrücke.
Nachdem biometrische Daten seitdem nach und nach in den Pässen der Bevölkerung gespeichert werden, kann die Automatisierung nun in Angriff genommen werden. Die Flughäfen wurden als erstes neues Geschäftsfeld ins Auge gefaßt. Dazu muß zuerst ein Produktname her, der nach Modernität und Sicherheit klingt. So wurde beispielsweise das »SmartGate«, ein vollautomatisches biometrisches Grenzsystem, Politikern und Flughäfen als ultimative Lösung verkauft. Bereits seit dem Jahr 2007 ist es in Australien im Einsatz. Australier und die benachbarten Neuseeländer werden seither nicht mehr durch Beamte kontrolliert. Ihre Reisedokumente und ihre menschlichen Merkmale prüft ein Computer in einer speziellen Vereinzelungsschleuse, die jeweils nur ein Reisender passieren kann.
Um dieses System verkaufen zu können, mußten zuvor natürlich Reisedokumente an die Bevölkerung ausgegeben werden, die biometrische Gesichtsdaten der Bürger enthalten. Besitzt der Reisende einen solchen neuen Paß, nimmt eine digitale Kamera das Gesicht der Person auf und vergleicht das gerade aufgezeichnete Bild mit dem im Paß abgespeicherten. Die Schleuse wird freigegeben, wenn das System dem Einreisenden ausreichende Ähnlichkeit bescheinigt. Vergleichbare Systeme sind auch in Portugal im Einsatz: die vollelektronische Paßkontrolle »e-Gates«.
Die australische Regierung gab vierzig Millionen Euro für das SmartGate-Projekt an den Flughäfen aus, obgleich die Tests einige gravierende Probleme aufzeigten. Sechs bis acht Prozent der computerisierten Grenzübertritte erwiesen sich als fehlerhaft. Entweder wurde ein Reisender durchgelassen, der gar nicht der Besitzer des Passes war, oder aber rechtmäßige Dokumentbesitzer standen vor verschlossenen Schranken. Die Testergebnisse waren dermaßen ernüchternd, daß die Behörden »aus Sicherheitsgründen« beschlossen, keine Daten der Testreihen mehr an die Öffentlichkeit zu geben.
Das Vorgehen, schlechte Evaluierungsergebnisse von Biometrieprodukten kleinzureden, hat System und konnte auch hierzulande beobachtet werden. Die leistungsvergleichenden Tests biometrischer Grenzkontrollsysteme in Deutschland ergaben ebenfalls hohe Fehlerraten: Drei bis sieben Prozent der Betroffenen wurden fälschlicherweise zurückgewiesen. Aber als Entscheidungshilfen und Empfehlungen für die Politik waren die Studien ohnehin nicht vorgesehen, waren doch die politischen Vorgaben bei Studiendurchführung bereits beschlossene Sache. Die Abschlußberichte wurden in Deutschland nicht einmal abgewartet, bevor der biometrische Reisepaß beschlossen und im Jahr 2005 eingeführt wurde.
Denn trotz der Ergebnisse der Tests und obwohl Sicherheits- und Ausweisspezialisten dem konventionellen deutschen Paß stets Höchstnoten ausstellten, seine Fälschungssicherheit lobten und die hohen Standards in der Produktion weltweit vorbildhaft waren, sollten die zehn Jahre gültigen Pässe ohne eine ernsthafte sachliche Debatte über Sinn und Unsinn in elektronische biometrische Dokumente umgewandelt werden. Mit
Weitere Kostenlose Bücher