Die Datenfresser
veränderten Bedrohungswahrnehmung der Gefahren des Luftverkehrs nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Obwohl ein Sachzusammenhang zwischen biometrischen Erkennungssystemen und der Abwehr von Flugzeugentführungen nur schwerlich zu sehen ist, wurde in Europa und Nordamerika noch im September 2001 diskutiert, die Gesichter und Fingerabdrücke aller Paßbesitzer zu erfassen. In den meisten Ländern wurde die Vermessung der Körpermerkmale und deren Aufnahme in die Reisedokumente also mit der Terrorismusbekämpfung begründet, auch hierzulande. Entsprechend beschloß der Deutsche Bundestag im Rahmen der Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes gleichzeitig die Änderung des Paßgesetzes.
Ab 2005 sollte biometrisch vermessen werden. Inwiefern diese Aufnahme körperlicher Merkmale bei der Bekämpfung von Kriminalität hilfreich sein sollte, blieb offen. Sachlich nachvollziehbar erscheint lediglich die Angabe, daß der Einsatz biometrischer Bilder die Fälschungen von Pässen erschwert und die Bindung an den Besitzer des Dokuments erhöht. Schließlich muß beispielsweise ein Dieb zusätzlich zu den seit Jahren erfolgreich eingesetzten Fälschungssicherungen nun auch die Körpermerkmale nachmachen, um einen gestohlenen Paß einsetzen zu können.
Leider scheitert die Idee, daß Biometrie gegen Fälschungen helfen könnte, gleich zweifach an der Realität. Zum einen sind die physischen Sicherungen des deutschen Passes derart hoch entwickelt, daß Fälschungen der knapp dreißig Millionen in Umlauf befindlichen Exemplare eines deutschen EU -Reisepasses praktisch gar nicht vorkommen. Dazu gibt es ganz konkrete Zahlen: Zwischen 2001 und 2006 fand der Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) genau sechs Fälschungen deutscher Pässe. In all den Jahren kam also kaum ein Beamter überhaupt mit Paßbetrügern in Kontakt, da dies durch den hohen Aufwand für Kriminelle schon lange nicht mehr lohnend ist. Zum anderen spielten in keinem dieser sechs Fälle laut Angaben der Bundesregierung durchgeführte oder geplante terroristische Anschläge eine Rolle. Daß gerade Flugzeugentführer stets gültige Pässe besessen haben, wird ohnehin ignoriert.
Der finanzielle Millionenaufwand der Einführung der Biometrie in Reisedokumente ist also nicht durch einen nachweisbaren Nutzen zu rechtfertigen. Nach nur sehr kurzen Phasen des Testens und der Erprobung werden jedem Deutschen dennoch seit 2007 auf den Meldeämtern nicht nur ein biometrisches Frontalgesichtsbild abverlangt, sondern auch zwei seiner Fingerabdrücke in den extra dafür entworfenen Chip in den Reisepaß gespeichert. Das betrifft sogar Kinder, deren Eltern einen Kinderreisepaß beantragen, obgleich lange bekannt ist, daß biometrische Verfahren erst für Erwachsene sinnvolle Erkennungswerte aufweisen.
Dem Europäischen Parlament kamen jedoch Bedenken, was die biometrische Vermessung von Kindern angeht. Die Argumente gründeten sich jedoch nicht etwa auf ethische Bedenken, sondern orientierten sich nur an der Praktikabilität. Die Merkmale der Heranwachsenden verändern sich noch, führen daher die biometrische Erkennung ad absurdum. So wurde im Januar 2009 mit großer, parteiübergreifender Mehrheit beschlossen, europaweit zumindest von Kindern unter zwölf Jahren keine Fingerabdrücke mehr aufzunehmen. In Deutschland werden jedoch weiterhin auch von Kleinkindern biometrische Frontalgesichtsbilder gespeichert.
Ist der Mensch erst einmal vermessen und sind seine Merkmale digital erfaßt, liegt die Idee nahe, typische Vorgänge, in denen diese Daten verwendet werden, zu automatisieren. Diese Idee kam auch Herstellern biometrischer Erkennungssysteme, vermutlich beim Feiern des riesigen neuen Absatzmarktes, der durch den staatlich erzwungenen Einsatz der Biometrie entstanden war. Entsprechend wurden Systeme und Verfahren erfunden und entwickelt, die den vermessenen Menschen automatisch oder halbautomatisch identifizieren. Gleichzeitig mußten diese neuen Produkte aber an den Mann gebracht werden – daher versuchte man vorzugsweise, politische Entscheidungsträger zu überzeugen.
Beispielhaft konnte das bei biometrischen Einreisesystemen beobachtet werden, die an Flughäfen und Grenzübergängen eingesetzt werden. Schritt für Schritt wurde der Weg zum biometrischen Erfolg geebnet. Zuerst mußten die politischen Entscheidungsträger überzeugt werden, wie hilfreich der Einsatz der Biometrie ist. Je nach Zeitgeist – hier: Schutz vor Terrorismus – wird die
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