Die Datenfresser
mehreren zehntausend neu zu produzierenden Dokumenten pro Tag winkte nicht nur der Bundesdruckerei ein großes Geschäft.
Es gibt deutliche Hinweise darauf, daß die Aussicht auf umfangreiche Profite die eigentliche Ursache für die technisch überstürzte Einführung der biometrischen Personaldokumente ist. Als Dankeschön wurden zuständige Politiker, Staatssekretäre und Abteilungsleiter nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst mit lukrativen Aufsichtsrats- und Beraterposten bei Biometrieherstellern bedacht. Auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der für die elektronischen Fingerabdrücke in den Pässen verantwortlich zeichnete, wurde Aufsichtsrat der Unternehmen Byometric Systems sowie SAFE ID Solutions AG . August Hanning, zuvor verantwortlicher Staatssekretär im Innenministerium, wurde mit einem Aufsichtsratsposten bei der Bundesdruckerei belohnt, welche die deutschen biometrischen Reisepässe und Personalausweise herstellt. Selten ließ sich eine so systematische Welle von direkter Belohnung von ehemaligen Amtsträgern für politische Entscheidungen beobachten, die in den nächsten Jahren Milliarden in die Kassen der Unternehmen spülen werden.
Um ein Milliardenprojekt wie die Digitalisierung der menschlichen Körpermerkmale weltweit anzuschieben, bedarf es einer internationalen Organisation, die Standards festgelegt und nationalen Alleingängen vorbeugt. Die International Civil Aviation Organization ( ICAO , Zivilluftfahrtorganisation) nahm diese Rolle ein. Eine kleine Gruppe industrienaher Techniker entwickelte die technischen Vorschriften und entwarf die nötigen Papiere, um die Dokumente in den über 180 Mitgliedsstaaten der Organisation zu vereinheitlichen.
Gleichzeitig lief der politische Begleitprozeß an: Neue »Sicherheitsmerkmale« sollen europaweit in die Reisepässe integriert werden, beschloß die Europäische Union auf Druck der USA . Dazu legte die EU fest, daß in Europa die Papillarlinienabdrücke zweier Finger und ein Frontalbild des Gesichtes digital im Paß zu speichern sind. Mit Europa als Vorbild begann die internationale Umstellung der Pässe.
Im Jahr zuvor war auch in den USA die Körpervermessung der Paßbesitzer gestartet worden. Der US -Rechnungshof kalkulierte dafür 8,8 Milliarden Dollar an Ausgaben, zuzüglich jährlicher Folgekosten in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar. Die Sektkorken für die Biometrieindustrie konnten knallen. Allein für Deutschland wurde eine Verzehnfachung des Umsatzes im Biometriemarkt prognostiziert. Mochten die Verfahren auch unausgereift sein, nun ging es nur noch darum, welches Unternehmen in welchem Land zum Zuge kommen würde.
Gleichzeitig freuen durfte sich die RFID -Industrie und deren Verbände wie die Smart Card Alliance über die industriepolitische Förderung, denn sie produzieren die Chips, die in die neuen Identitätsdokumente eingelassen sind und die biometrischen Kennzahlen speichern. RFID steht für Radio Frequency Identification, bedeutet also die Identifizierung per Funk. Die Chips in den Ausweisdokumenten funken allerdings nicht von sich aus, denn sie haben keine eigene Energiequelle. Werden sie aber in die Nähe eines Lesegerätes gehalten, können die gespeicherten Daten ausgelesen werden. Die Reichweite der Lesegeräte für RFID -Chips schwankt je nach technischem Aufbau und System zwischen einigen Zentimetern und mehreren Metern. Mit guten Antennen kann dieser Vorgang auch über einige Meter hinweg von Dritten mitgeschnitten werden.
Den Empfehlungen der ICAO folgten weltweit viele Staaten. Sie führten digitale Aufnahmen der Gesichtsbilder und Fingerabdrücke in ihre nationalen Pässe ein, wie vorgeschlagen auf winzigen kontaktlosen Mikrochips, die, mit einer kleinen Antenne ausgestattet, unsichtbar Daten aus den Dokumenten funken können. Das im ICAO -Standard als fakultativ empfohlene Aufnehmen der Iriden der Menschen hatte dagegen bisher für Grenzkontrollsysteme wenig Erfolg.
Maschinenlesbar sind Reisedokumente bereits seit Jahrzehnten. Man benutzt dafür eine Zahlen- und Zeichenkombination, die auf jedem Paß oder Ausweis aufgedruckt ist. Bei den deutschen Dokumenten ist dies die sogenannte maschinenlesbare Zone, die aus großen, gut automatisch zu erkennenden Buchstaben am unteren Rand der Ausweiskarte besteht. Nun aber wurde die Maschinenlesbarkeit auf die Menschen ausgeweitet: Vermessen werden Körperteile und Merkmale, die Menschen voneinander unterscheidbar machen. Die Daten der Gesichtsbilder und
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