Die Datenfresser
Ermittlungsbehörden eine verdeckte Möglichkeit zur Verfügung, um auch dann geographische Informationen zu erlangen, wenn der Telefonbesitzer nicht angerufen wird oder selbst niemanden anruft. Unter normalen Umständen wird nur dann ein Datensatz mit Lokationsinformationen im Netz des Telefonanbieters gespeichert und für die Ermittler abrufbar, wenn das empfangsbereite Telefon tatsächlich aktiviert wird, etwa durch einen Anruf, durch eine SMS oder beim Surfen im Netz. Wie bringt man aber das Mobiltelefon dazu, seine Position preiszugeben, auch wenn gar nicht telefoniert
wird?
Die Methode der Bedarfsträger ist der Einsatz sogenannter stiller SMS (auch Ping- SMS oder Stealth- SMS genannt), mit denen absichtlich und gezielt Standortdaten generiert werden. Den Umstand, daß der Standort des mobilen Telefons bei jeder eintreffenden SMS festgehalten wird, nutzen die Ermittler dabei aus. Es wird eine spezielle SMS an das Telefon gesendet, die vom Telefon nicht angezeigt oder sonst signalisiert wird. Beim Mobilfunkanbieter wird aber jeweils trotzdem einen Datensatz erzeugt, aus dem dann entnommen werden kann, in welcher Funkzelle das Gerät eingebucht war.
Im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gegen die Vorratsdatenspeicherung räumte das Bundesjustizministerium ein, daß verschiedene deutsche Behörden von der stillen SMS zur absichtlichen Herbeiführung einer Kommunikationsaktivität des Mobiltelefons Gebrauch machen. Dazu gehören beispielsweise das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und der Verfassungsschutz. Ursprünglich war die stille SMS nur für Service- und Testzwecke des Mobiltelefon-Netzbetreibers vorgesehen, wurde aber in der Praxis für die geplanten Sonderdienste gar nicht verwendet. Ein gern verwendeter »Sonderdienst« ist sie jedoch für Ermittler.
Technisch betrachtet, heißt eine solche Kurznachricht »short message type 0«. Als genormte SMS quittiert jedes Mobiltelefon zwar den Eingang einer solchen Nachricht, zeigt dem Besitzer dieses aber in keiner Weise an.
Je nachdem, wie kurz die Zeitspanne ist, nach der eine weitere SMS empfangen wird, steigt entsprechend die Aussagekraft des Bewegungsprofils des Telefonbesitzers. Dieser erlangt weder von
den eintreffenden SMS noch von der Erstellung des nahezu lückenlosen geographischen Musters seiner Bewegungen Kenntnis. In typischen Ermittlungsverfahren wird das Senden der stillen SMS alle paar Minuten durchgeführt, mit dem Resultat eines enorm dichten Bewegungsabbildes.
Zugriffszahlen
Da Standortdaten bei Mobiltelefonen eine hohe Beweiskraft zugeschrieben wird, zeigt sich besonders bei den ausufernden Zugriffszahlen der Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste das enorme Interesse an der Auswertung. Es wurde zum weltweiten Trend für Ermittler und auch für private Spione, dieser Daten habhaft zu werden, als sich immer mehr Menschen das kleine praktische Kommunikationsartefakt zulegten. Jeder telefonische Kontakt, jede Bewegung, jeder Datenabruf über das Internet wird zur nachvollziehbaren Standortbestimmung. Was erst einmal elektronisch erfaßt wurde, wird nicht mehr aufgegeben und kann als Datensatz herangezogen werden.
Besonders die Länder der Welt, die solche Daten von Staats wegen vorrätig halten und niedrige gesetzliche Eingriffsschwellen haben, zeigen exorbitant hohe Zugriffszahlen. So wurden in Großbritannien allein im Jahr 2008 in über einer halben Million Fälle Telefon-Datensätze abgerufen, die auch Standortdaten offenlegten. Sieht man nur diese nackten Zahlen, könnte man vermuten, daß die Insel voller Verbrecher sei.
Seit in den Jahren 2000 und 2004 der legal erlaubte Zugriff der britischen Behörden Schritt für Schritt erleichtert wurde, hat der eigens angestellte Abhörbeauftragte der Insel alle Hände voll zu tun. Er kümmert sich neben dem Aufstellen der Statistik um den Mißbrauch und die auftretenden Fehler durch die Behörden. Welche Telefonbesitzer wurden aufgrund der geographischen Daten zu Unrecht beschuldigt, verhaftet, wessen Wohnung wurde widerrechtlich durchsucht, auch diese Fälle landen in der britischen Statistik. Welche Irrtümer es mit welchen Folgen gab, kann nur im Nachhinein untersucht werden, denn eine zumindest rudimentäre Vorab-Kontrolle durch einen Richter existiert in Großbritannien nicht.
Auch in Deutschland ist seit Jahren ein rasanter Anstieg der Zahl der Überwachungsanordnungen im Mobilfunk zu verzeichnen, die jeweils die Standortdaten der Telefone einschließen. 1993
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