Die Datenfresser
Privatsphäre erscheint, so sind nur leichte Präzisierungen nötig, um eine solche Kombination von Verbindungs- und Lokationsdaten zur delikaten Angelegenheit zu machen. Ersetzt man das Restaurant durch ein Hotel und denkt sich über den Zeitraum von sechs Monaten regelmäßige nächtliche Treffen zweier Mobiltelefone in der jeweiligen Funkzelle, die das Hotel abdeckt, so wird es schnell recht privat. Vergleichbares gilt wohl für Treffen bei Notaren, Ärzten, Therapeuten oder ähnlichen Berufsgruppen. Datenpunkte auf der Bewegungslandkarte sind sehr viel aussagekräftiger, als es auf den ersten Blick scheint.
Da die Vorratsdaten für einen Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen waren, ergibt sich also über diese Monate neben der genauen Bewegungslandkarte auch ein Blick auf das normale Alltagsleben eines Menschen. Abgebildet wird sein typischer Arbeits- und Lebensradius, in dem er sich normalerweise bewegt, aber auch die Ausreißer wie Reisen, Urlaube, längere Aufenthalte an sonst nicht üblichen Orten wie Kranken- und Kurhäuser oder Reha-Kliniken. All dies läßt sich zusammen mit der Häufigkeit, Dauer, Uhrzeit und den Rufnummern automatisiert auswerten und visualisieren.
Abweichungen vom Normalzustand werden dabei leicht ersichtlich. Algorithmische Auswertung kann dann Fragen zur Anomalieerkennung beantworten: Engagiert sich der zu Analysierende neuerdings politisch intensiver, arbeitet er daher mehr oder weniger? Ist er neue Beziehungen eingegangen? Trifft er sich mit neuen Personen regelmäßiger? Welche Menschen kontaktiert er nicht mehr? Wäre die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich in Kraft geblieben, könnte nur noch eine prophylaktische Verhaltensänderung die Genauigkeit und Aussagekraft dieses Abbildes des menschlichen Verhaltens schmälern. Um der Profilierung zu entgehen, müßten die Besitzer der Mobiltelefone also absichtlich ihr soziales Kommunikationsverhalten verändern.
Die freiwillige Ortungswanze
Die Tatsache, daß heute statistisch jeder Deutsche mehr als ein Mobiltelefon besitzt, sowie der Umstand, daß die genaue geographische Lokation der Telefone Bewegungsprofile der Nutzer erlauben, hat das Interesse der Ermittlungsbehörden erhöht, diese Daten auszuwerten. Einen Verdächtigen mit einem Observierungsteam zu verfolgen, ist teuer und aufwendig, einen GPS -Tracker am Auto anzubringen, ist riskant und nicht hilfreich, wenn sich der Verdächtige zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewegt. Ihn jedoch anhand der Mobiltelefon genannten Ortungswanze in der Hosentasche, dessen Akku er auch noch freiwillig jeden Tag auflädt, virtuell zu verfolgen, ist ungleich einfacher, zeitsparender und bequemer.
Zugleich gelten von den Telekommunikationsunternehmen übermittelte Daten über den Aufenthaltsort von Telefonen als gerichtsfest und evident. Dies mag nicht in allen Fällen gerechtfertigt sein, da technische Fehler durchaus keine Seltenheit sind, jedoch liefern korrekte Lokationsdaten von Telefonen zumindest in der Regel weniger Interpretation als menschliche Aussagen, wenn es zu Gerichtsverfahren kommt.
Generell sind alle deutschen Betreiber der Funknetze verpflichtet, den Standort des Mobilfunkgerätes mit der ihnen größtmöglichen Genauigkeit an staatliche Bedarfsträger herauszugeben, wenn der Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Um die Aussagekraft der Funkzellendaten zu verbessern, sind viele Landeskriminalämter und Geheimdienste dazu übergegangen, eigene flächendeckende Meßfahrten zu unternehmen oder zu beauftragen, mit denen die tatsächliche Ausbreitung der einzelnen Mobilfunksender zu verschiedenen Jahreszeiten erfaßt wird.
Die Ermittler wissen es teilweise genauer als die Anbieter. Die Daten der Mobilfunkunternehmen darüber, wie weit das Abstrahlungsgebiet einer Funkzelle reicht, werden in der Regel mit Hilfe von Simulationssoftware generiert, in die Geländeprofile und Gebäudedaten eingespeist werden. Dabei entstehen zwangsläufig Ungenauigkeiten und Simulationsfehler, die für den Mobilfunkanbieter allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vor Gericht kann aber die Frage, ob sich der Verdächtige gerade in Zelle A oder doch in Zelle B aufgehalten hat, von verfahrensentscheidender Bedeutung sein. Obwohl diese Positionsermittlungen eigentlich nur als Indiz, nicht aber als Beweis dienen sollten, wird ihnen in der Praxis eine enorm hohe Bedeutung zugemessen.
»Stille SMS «
Um ein Mobiltelefon zu einer noch genaueren Ortungswanze umzufunktionieren, steht den
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