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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz
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diesem Zeitraum Anrufversuche? Wurden aus der Funkzelle SMS versendet?
    Das Bundesverfassungsgericht hat dem Vorhaben bekanntermaßen einen Riegel vorgeschoben, die Verfassunsgwidrigkeit des Gesetzes festgestellt und erhebliche Schranken für eine gesetzliche Neuregelung entworfen. Nichtsdestotrotz halten vor allem konservative Politiker an der Vorratsdatenspeicherung fest und planen die Schaffung eines neuen Gesetzes für die anlaßlose Datenhaltung der Telekommunikations- und Standortdaten. Nach dem Urteil und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit erfolgte noch der Versuch, mit dem Euphemismus »Mindestspeicherpflicht« einen neuen Begriff zu prägen. Sowohl die gesetzliche Neuregelung als auch die Umbenennung mißlang bisher, vor allem weil sich die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen die anlaßlose Datensammlung sträubt.
    Die Profilbildung, die aus solchen Datensätzen automatisiert möglich ist, übersteigt früher nutzbare Personenprofile schon durch die geographische Komponente. Durch die Intensität der Nutzung der Mobiltelefone wird aus einem früher noch ungenauen Bewegungsprofil ein angereichertes, detailliertes Verhaltensabbild. Was genau ist aus den Daten ersichtlich?

Lebensprofile aus Vorratsdaten
    Sechs Monate sind im Leben eines Menschen eine Zeitspanne, in der er mit Hunderten anderen Menschen telefoniert, chattet oder E-Mails austauscht. Typischerweise kontaktiert er irgendwann in dieser Zeitspanne die meisten seiner Freunde, Verwandten, Geschäftspartner und Bekannten, vermutlich auch seinen Arzt, seinen Versicherungsmakler, vielleicht gar die Exfreundin. Oder er wird von ihnen kontaktiert. Mit denjenigen Menschen, die aber zu seiner Familie gehören oder eng mit ihm befreundet sind, wird er in den sechs Monaten buchstäblich hundertfach kommunizieren.
    Unsere digital gesammelten Verhaltensweisen als soziale Wesen sind das Futter für Auswertungsalgorithmen. Ohne daß der Benutzer einer solchen Software uns jemals getroffen hat, kann er über die Spuren in den Datensätzen unser Leben rekonstruieren. Jeder Telefonkontakt und jede Internetverbindung wird von den Algorithmen zu einem Faden eines Spinnennetzes, in dem der Kommunizierende wie die Spinne in der Mitte sitzt. Die Privatpersonen, Anschlüsse von Unternehmen und Behörden, die wir kontaktiert haben, und die Verbindungen ins Netz sind die Knotenpunkte in diesem Netz.
    An diesen Knoten ist zusätzlich die Kommunikationsrichtung markiert, also wer wen angerufen oder es versucht hat, wer wem eine SMS oder E-Mail gesendet hat. Will man nun das soziale Umfeld einer Person analysieren, addiert man zu jeder Kommunikationsart und -richtung die Anzahl der Vorgänge. Stellt man sich weiterhin das Spinnennetz vor, werden manche Fäden nun dicker, um die Häufigkeit der Verbindungen zu visualisieren. Diese Gewichtung der Kommunikationskontakte offenbart erste soziale Einsichten, die Algorithmen kombinieren dieses Wissen mit der Uhrzeit und Länge der Gespräche sowie den dazugehörigen Orten.
    Obgleich der Inhalt des Gesagten unbekannt ist, lassen sich daraus Schlußfolgerungen treffen. Wer nachts stundenlang mit derselben Person telefoniert, hat wohl entweder sehr private Gründe oder wichtige geschäftliche Kontakte nach Übersee. Der Algorithmus gibt die gewünschte Zusatzinformation hinzu, in dem er den Ort hinzufügt. Insgesamt liefert das Spinnennetz ein detailreiches soziales Abbild darüber, welche Kontakte der zu Analysierende mit welchen anderen Personen in welcher Intensität hat.
    Diese Analyse kann nun Schritt für Schritt ausgeweitet werden, denn jeder Knoten des Spinnennetzes ist der Beginn eines neuen Netzes einer anderen Person. Auch mit deren Verbindungsdaten der letzten sechs Monate kann bei Interesse der Computer gefüttert werden. Der Ausweitungsprozeß kann mehrstufig fortgeführt werden: Wer sind die Bekannten der Bekannten, wer die Geschäftspartner der Geschäftspartner? Natürlich explodiert die Menge der Daten dabei geradezu, allerdings gleichzeitig auch die Aussagekraft der sozialen Erkenntnisse, die daraus zu gewinnen sind: Anschauliche Beziehungsnetzwerke von Menschen werden sichtbar, die Hinweise darauf enthalten, wie eng die Bindungen zwischen ihnen sind.
    Die so erhaltenen erweiterten Kommunikationsbeziehungen lassen aber noch mehr erkennen. Werden etwa Personen gesucht, die in sozialen Gruppen eine besondere Rolle spielen, hilft auch hier die algorithmische Auswertung weiter. Wer oft

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