Die Datenfresser
und häufig mit vielen anderen der Gruppe telefoniert, ist aus der Zusammensetzung der Spinnennetze leicht ersichtlich. Er wird eine wichtigere, aktivere Rolle in der Gruppe einnehmen als jemand anderes, der nur selten mit anderen in Kontakt steht. Auch die Person mit der zentralen Kommunikationsrolle einer Gruppe wird erkennbar. Abbilden lassen sich so auch hierarchische Strukturen von größeren sozialen Gruppen, etwa in Parteien oder Verbänden.
Demonstranten gegen den Bau des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofes oder Atomkraftgegner organisieren ihre Proteste heutzutage fast ausschließlich mit Hilfe des Netzes und ihrer Telefone. Auch in diesen Gruppen lassen sich mit der Analyse der Verbindungsdaten auf Knopfdruck Anführer und Sprecher, gelegentliche Aktivisten oder nicht direkt an der Organisation der Proteste beteiligte Mitläufer ausmachen. Ist auch nur eine Telefonnummer bekannt, kann das gesuchte Netzwerk Faden für Faden aufgespannt werden. Am Ende der Analyse liegt die vollständige Struktur der Gruppe offen. Die kann genauer sein, als es den Mitgliedern der Organisation zuweilen selbst bewußt ist. Selten sind die Sprecher und Megaphonträger die wichtigsten Personen, die für das Funktionieren einer Gruppe sorgen, sondern die Vordenker und Logistiker.
Datenpunkte im Spinnennetz
Sich organisierende Protestgruppen können auch hinsichtlich ihrer typischen Informationsflüsse durchleuchtet werden. Wer ruft wen in welcher Reihenfolge innerhalb des sozialen Gefüges an, wer leitet E-Mails an wen weiter, wo enden Informationswege? Zeitliche Abfolgen von Gesprächen oder SMS können automatisiert ausgewertet werden. Dazu wird üblicherweise eine bestimmte Nachricht ausgewählt, deren Weg durch die Gruppe dann nachvollzogen wird. Wie bei einem Stein, der in einen stillen Teich geworfen wird, werden die Informationswellen sichtbar. Fand beispielsweise eine Hausdurchsuchung bei einem Mitglied der Protestgruppe statt, hilft die algorithmische Auswertung, Fragen wie diese zu beantworten: Wer ruft wen zuerst an? Welche Person spricht oder schreibt in der Folge am häufigsten mit anderen? Die Informationsstruktur der Gruppe tritt zutage.
Das menschliche Kommunikationsverhalten ist ohnehin gut erforscht, so daß die Analysen auch auf soziologische und kommunikationswissenschaftliche Arbeiten aufbauen können. In großen Sammlungen von Verbindungsdaten können Algorithmen typisch menschliche Muster des Sozialverhaltens wiederfinden. Anders als beim Mithören von Inhalten von Kommunikation sind also automatisiert Strukturen, zeitliche Kontexte und Kommunikationsflüsse in hoher Informationsgüte nahezu vollautomatisch extrahierbar.
Die Datensätze liegen in standardisierter Form vor und brauchen der Software nur übergeben werden. Weil Geheimdienste und Diktaturen bereits jahrelang in großer Zahl Auswertungen von Verbindungsdaten vornehmen, hat sich ein Markt von Software-Anbietern gebildet, die passende Analysesoftware entwickeln. Die Kosten für solche Auswertungsprodukte sind überschaubar: Auch für den an Wirtschaftsspionage interessierten Privatschnüffler ist etwas für die kleine Geldbörse dabei. Der jüngste Datenskandal der Telekom warf ein Schlaglicht auf diese zwielichtige Branche, die auch von deutschen Konzernen gern mit Verkehrsdatenanalysen beauftragt wird.
Lebenslandkarten aus Bewegungsspuren
Die Verbindungsdaten erreichen ihre höchste Aussagekraft erst, wenn die geographische Position der Telefonierer und Surfer einbezogen wird. Der Ort zum Zeitpunkt der Kommunikation vervollständigt dann das Gesamtbild. Und nicht nur die Mobiltelefone haben aufgrund der GSM -Infrastruktur bei jedem Kommunikationsversuch einen Standort, auch Festnetz-Anschlüsse sind natürlich einer konkreten Adresse zuzuordnen.
Die Kombination der geographischen Position mit den Verkehrsdaten läßt verblüffend oft auf den Inhalt eines Gespräches schließen. Wählt beispielsweise ein Anrufer zuerst die Nummer eines Restaurants, sendet im Anschluß eine SMS an drei Personen, deren Mobiltelefone sich zwei Stunden später in der Funkzelle desselben Restaurants einfinden, ist es nicht mehr nötig, viel über den Inhalt des Telefonats oder der SMS zu wissen. Das Wissen um den gemeinsamen Besuch des Restaurants ist nicht von menschlicher Intelligenz abhängig, sondern kann auch algorithmisch ermittelt, teilweise gar prognostiziert werden.
Während dieses Beispiel zunächst nicht brisant in bezug auf den Schutz der
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