Die Datenfresser
einiger Zeit ist er auf die Idee gekommen, seine Opfer im Internet zu suchen. Besonders ergiebig scheinen Facebook und Bilder-Webseiten wie Flickr, auf denen sich die nichtsahnenden zukünftigen Versicherungsfälle über ihre neuen Spielzeuge und Erwerbungen freuen und austauschen. Bisher hat er seinen neuesten Plan noch nicht getestet, so langsam fühlt er sich aber sicher genug, ihn auszuprobieren.
Roger ist von Natur aus risikoscheu. Wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, erwischt zu werden, läßt er den Job lieber sausen oder sucht nach einem anderen Opfer. Das Objekt der Begierde eines seiner Auftraggeber: eine RED -Digitalkamera mit ein paar Objektiven und Zubehör. Knapp fünfzigtausend Euro kostet das Komplettset neu, man kann damit Filme in Kinoqualität drehen. Neuntausend Euro hat der Kunde ihm geboten. Geld, das Roger gerade gut gebrauchen kann. Das auserkorene Opfer: Lydia, eine junge Filmemacherin, die vor ein paar Tagen auf Twitter davon schwärmte, daß sie diese Woche endlich günstig die Filmkamera ausleihen kann. Sie wird damit das Material für einen Werbespot drehen, der ihren Sommerurlaub finanzieren soll. All das hat Lydia freimütig auf Twitter und Facebook erzählt.
Profi Roger klickt nicht nach dem Zufallsprinzip durch die Kurznachrichtendienste und sozialen Netzwerke. Er nutzt seit einiger Zeit mit wachsendem Erfolg die neu angebotenen Suchmaschinen, die für ihn die Netzwerke nach bestimmten Begriffen durchgehen. Da sein Auftraggeber das zu stehlende Modell konkret benannt hat, kann er so gezielt und ohne Mühe suchen. Lydias Nachricht über die Filmkamera lieferte ihm die Suchmaschine frei Haus.
Herauszufinden, wo Lydia wohnt, war nicht schwer. Auch die Bilder in ihrem Facebook-Profil sind einfach zu finden. Wenn man ihren Twitter-Account-Namen kennt, finden sich in ihren öffentlichen Nachrichten zum großen Teil Fotos, die sie mit ihrem Mobiltelefon gemacht hat. Manchmal lädt Lydia auch Fotos von ihrer eigenen Fotokamera hoch, die zwar kein Profigerät ist, aber für die sie einige Zeit gespart hat. Roger interessiert nicht das Bildmotiv, er sieht sich zuerst die sogenannten Metadaten der Bilder an.
Wenige Menschen wissen, wieviel Daten ein Foto enthält und was sich hinter dem unscheinbaren Begriff » EXIF « verbirgt. Die Abkürzung steht für »Exchangeable Image File Format« und beschreibt eine Reihe von Informationsfeldern, die unsichtbar an vielen digitalen Bildern kleben. Neben Informationen über Belichtungszeit, Datum und Uhrzeit der Aufnahme sowie dem Typ der Kamera gibt es darin auch Platz für Positionsinformationen, das sogenannte Geotag. Moderne Smartphones wie das iPhone oder fast alle modernen Fotokameras schreiben in diese Felder bei jedem Schnappschuß die GPS -Position zum Zeitpunkt der Aufnahme. Das ist fürchterlich praktisch, wenn man beispielsweise seine Urlaubsfotos in einer Landkarte verorten will oder seine Bilder bei einem Online-Bilderdienst hochlädt, wo sie zu anderen Bildern des Ortes sortiert werden. Auch Profis, die regelmäßig Hunderte Bilder schießen, schätzen diese Funktionalität, denn Software kann die Fotos anhand der EXIF -Daten automatisiert ordnen.
Roger weiß nun, welches Mobiltelefon Lydia verwendet, und freut sich besonders über den Typ ihrer Fotokamera, denn an ihr kann er weitere fünfhundert Euro verdienen. Er hat alle 140 Bilder aus Lydias Profil heruntergeladen und auch noch ihren Flickr-Account gefunden, bei dem sie das gleiche Pseudonym verwendet wie bei Facebook und Twitter. Darin waren weitere dreihundert Bilder aus den letzten beiden Jahren. Roger hat sie systematisch analysiert, alle Geotags aus den Bildern mit Hilfe von Google-Maps zusammengefaßt. Er kann nun Lydias Leben nachvollziehen, denn wie die meisten Menschen bewegt sie sich meistens in einem kleinen lokalen Umfeld zwischen Wohnung, Arbeitsplatz, Sportverein und dem Haus der Eltern. Roger kennt zusätzlich auch alle Urlaubsorte, die Lydia bereist hat.
Es war Roger ein leichtes, die Fotos herauszusuchen, die offenbar bei Lydia zu Hause entstanden sind: ihre Katze, ihr Exfreund – daß es der Ex ist, war problemlos ihrem Facebook-Status zu entnehmen –, ihre Küche, der Garten. Er weiß nun, daß es außer der geliehenen Filmkamera und dem Fotoapparat nichts wirklich Wertvolles in der Wohnung zu holen gibt. Ein kurzer Blick in Google Street View verrät ihm zudem, daß die Gegend eher ruhig ist, ein Schlaf- und Wohnviertel für meist jüngere Leute.
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