Die Datenfresser
Freitag abend ist also kaum mit Überraschungen zu rechnen, solange er den Einbruch hinter sich bringt, bevor die Anwohner vom Feiern nach Hause kommen.
Daß Lydia vorzeitig nach Hause kommt, hofft Roger ausschließen zu können, sobald sie von ihrer Freundin Karola im Kino bei Foursquare »eingecheckt« wird. Aus den Nachrichten der letzten Wochen kann er ersehen, daß sie öfter mal freitags losziehen und Karola dabei immer den aktuellen Aufenthaltsort per Foursquare und Facebook Places bekanntgibt. Eigentlich ist die Information für Freunde, die noch dazustoßen wollen. Karola findet Foursquare praktisch, denn sie ist meist für die Organisation der Abendunterhaltung der Clique zuständig. Für Roger aber dient die Information zur eigenen Absicherung.
Natürlich hat Karola getwittert, welcher Film heute gemeinsam angesehen wird. Er hat Überlänge, findet Roger mit einem Klick heraus. Selbst wenn Lydia nach dem Kino keine Lust mehr zum Feiern hat und sich ein Taxi nach Hause nimmt, kann er sich sicher sein, mindestens drei Stunden ungestört Zeit für seinen Einbruch zu haben. Als Karola für sich und Lydia eine halbe Stunde vor dem Filmstart eincheckt, legt Roger seine Arbeitskleidung an: Anzug, Mantel und ein Rucksack für Werkzeug und Beute. In Lydias Wohngegend wird er so nicht auffallen, sondern eher wie einer der Anwohner wirken, der nach einem anstrengenden Tag endlich nach Hause will. Noch ein kurzer Blick auf die Facebook-Seite und den Twitter-Account, um sicherzugehen, daß er nichts übersehen hat – dann ist Roger auf dem Weg zu Lydias Haus. Lydia wohnt im Erdgeschoß, nur im vierten Stock des Hauses hat er auf der Straßenseite noch Licht gesehen. Kein Problem, er wird keinen Lärm machen.
Gerade noch rechtzeitig sieht er einen Scheinwerfer mit Bewegungsmelder über den Mülltonnen, aber der schreckt ihn nicht weiter ab. Die Dinger gehen immer wieder an, wenn Tiere durch den Garten laufen oder jemand den Müll wegbringt. Die Nachbarn haben sich meist längst daran gewöhnt. Er will aber möglichst wenig Zeit im Licht verbringen, auch wenn die hohe Hecke die Sicht von außen weitgehend verdeckt. Roger packt sein Werkzeug aus, checkt noch mal die Uhrzeit, und – nur zur Sicherheit – Twitter, Facebook und Foursquare. Die Frauenclique amüsiert sich offenbar im Kino, also macht er sich mit einem Brecheisen ans Werk.
Hinter der schnell aufgebrochenen Tür huscht Lydias Katze weg, die sie Marie-Antoinette genannt hat. Roger kennt sie von den Fotos auf Facebook. Er braucht ungefähr fünf Minuten, um den einzigen verschlossenen Schrank in der ganzen Wohnung zu finden und aufzubrechen. Darin, wie erwartet, das RED -Kamera-Set, verpackt in einer soliden Kameratasche. Aus seinem Rucksack holt Roger eine große Sporttasche, verstaut die Beute darin. Dann sieht er sich nach dem Fotoapparat um. Er liegt neben dem Laptop, den er zwar nicht gebrauchen kann, aber der Tarnung halber zusammen mit einer kleinen Geldkassette ebenfalls einsteckt. Nach nicht einmal fünfzehn Minuten schwingt er sich wieder über den Zaun, nachdem er zuvor noch einen Abendspaziergänger passieren ließ. Dann macht er sich direkt auf den Weg zu seinem Kunden, je kürzer er die heiße Ware in den Händen hat, desto besser.
Lydia amüsiert sich derweil prächtig mit ihren Freundinnen. Der Film war unterhaltsam, nun geht es weiter in die Bar. Karola checkt wieder alle Damen dort ein, es sind noch ein paar Bekannte in der Gegend, die später dazustoßen wollen. Karola will endlich »Bürgermeister« der Bar werden, es fehlen nicht mehr viele Punkte, und Freundinnen dort einchecken bringt Extrapunkte. Nach ein paar Runden Drinks wird sie an der Theke von einem jungen Mann angesprochen, der sie auf ihr T-Shirt anspricht. Ob sie denn auch auf dem Konzert der Band gewesen sei, von dem das Shirt stammt?
Sie kommen ins Gespräch. Der junge Mann, Robert, ist einigermaßen charmant und interessiert sich erstaunlicherweise für eine Menge Dinge, die auch Karola wichtig sind: Tierschutz, französische Impressionisten, amerikanische Songwriterinnen. Karola freut sich, endlich mal jemanden gefunden zu haben, der zu ihr zu passen scheint. Irgendwann muß Robert kurz zur Toilette, er ist schon ein klein wenig angetrunken. Beim Aufstehen rutscht ihm sein Telefon aus der Tasche, ohne daß er es merkt.
Karola hebt es auf und drückt kurz auf den Standby-Knopf. Sie ist neugierig, was Robert wohl für ein Bildschirmschoner-Foto auf seinem Telefon
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