Die Datenfresser
Leistungsfähigere bevorzugt, befördert und weitergebildet. Aus Sicht des Unternehmens eine vielleicht verständliche Vorgehensweise, für den Betroffenen eine Katastrophe.
Und selbst derjenige, der heute noch glaubt, nichts zu verbergen zu haben, kann im Laufe der Jahre doch Interesse an einer sicheren Privatsphäre entwickeln. Spätestens, wenn er das Internet nutzen will, um medizinische Informationen über Altersbeschwerden oder Krankheiten zu erhalten, auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben oder sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Die unweigerliche Stigmatisierung, die besonders im Berufsleben mit dem Bekanntwerden einer Krankheit oder körperlichen oder geistigen Schwäche einhergeht, möchte man natürlich deswegen nicht in Kauf nehmen. Daß dies gelingt, wird zunehmend weniger selbstverständlich.
Unternehmen gehen mehr und mehr dazu über, die Aktivitäten ihrer Mitarbeiter in sozialen Netzwerken von Dienstleistern, aber auch von Algorithmen in Überwachungsprogrammen analysieren zu lassen. Dabei geht es zum einen um Informationsabfluß, aber auch um Meinungsäußerungen zum Klima am Arbeitsplatz, zu den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens. Mehr und mehr rückt zusätzlich die Beurteilung des zukünftigen Wertes des Mitarbeiters für das Unternehmen in den Fokus. Fortgeschrittene Dienstleister wie etwa die Firma Cataphora aus den USA analysieren nicht nur den gesamten Datenverkehr aus dem Unternehmen zu den sozialen Netzwerken. Sie verfolgen zudem alle dadurch bekanntgewordenen Profile und Nachrichten von Mitarbeitern auf diesen Plattformen und korrelieren diese zusätzlich mit Daten im internen Netzwerk der Firma.
Ziel ist es, die produktiven von den unproduktiven, die geschwätzigen von den loyalen Mitarbeitern zu trennen. Wenn die Zeiten härter werden und mal wieder betriebsbedingte Kündigungen oder Restrukturierungen anstehen, trennt man sich dann zuerst von denen, die scheinbar kein großes Potential mehr haben, oder solchen, die so aussehen, als würden sie ohnehin keinen nennenswerten Beitrag zum Firmenwert leisten. Letzteres wird neben der automatischen Auswertung aller elektronischen Kommunikationsvorgänge auch durch vergleichende Analysen von Textfragmenten in firmeninternen Dokumenten erreicht. Dabei geht es unter anderem darum, festzustellen, wer selbst kreativ arbeitet und wer primär Texte und Graphiken von anderen übernimmt und weiterverwendet oder einfach irgendwoher aus dem Internet kopiert.
Der Post-Privacy-Irrtum
Eine der großen Errungenschaften der modernen Zivilisation, die Anerkennung des Rechts auf individuelle Freiheit, beruht auf dem Grundsatz, daß jeder tun und lassen darf, was er möchte, solange er dabei niemand anderen erheblich beeinträchtigt. Wenn aber jeder andere wissen kann, was man tut und läßt, ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich jemand daran stört – auch wenn es ihn eigentlich überhaupt nichts angeht – sehr groß.
Eine populäre Theorie über die zukünftige Entwicklung ist, daß wir mit der Offenlegung sämtlicher Lebensdetails einfach toleranter würden. Egal ob kompromittierende Fotos, »unmoralische« Sexualgewohnheiten, abseitige Hobbys oder merkwürdige Gewohnheiten – sobald wir alles von allen sehen können, müssen wir auch damit leben. Doch schon im relativ kleinen Deutschland ist die Bandbreite der moralischen Maßstäbe zwischen bayerischem Bergdorf und feierfreudigem Großstadtkiez enorm.
In manchen Kreisen – vorwiegend im Umfeld von sogenannten Social-Media-Experten – ist es, ausgehend von dieser Transparenz-Theorie, neuerdings üblich, die »Ende der Privatsphäre«-Prophezeiungen der Datenprofiteure von Google, Facebook & Co. nicht nur für unausweichlich zu erklären (siehe Kapitel 4), sondern sie zum Programm zu erheben. Allen im Netz von seinen Krankheiten, Zipperlein und Sorgen zu erzählen, so die Botschaft, ist befreiend und erlösend. Der drohende Kontrollverlust, so die Verheißung, ist demnach eigentlich eine Befreiung. Einfach nicht mehr drum kümmern, was wer davon liest und darüber denkt, frei und unbeschwert alles im Netz ausleben, keine Hemmungen haben, nichts verbergen. Irgendwann, wenn das alle machen, wird die Gesellschaft auch besser, schöner und freier, weil niemand mehr etwas verbergen muß, wo doch jeder sehen kann, was der andere so treibt, denkt und tut.
Das Netz sei für eine neue transparente Gesellschaft ausgelegt, ja dafür geradezu bestimmt. Transparenz im
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