Die Datenfresser
hat. Statt dessen sieht sie mit Entsetzen seinen Webbrowser mit ihrem Facebook-Profil. Einen Fingerklick weiter: die Foursquare-Seite der Bar, mit ihrem Check-in. Schnell drückt sie den Home-Button auf der Facebook-Seite und kommt auf Roberts eigenes Profil, sie erkennt das Gesicht auf dem Foto wieder.
Robert heißt offenbar eigentlich Georg, ist acht Jahre älter, als er vorgab, und interessiert sich eher für Death-Metal-Musik und Motorräder als für Tierschutz und Kunst. Und er ist Mitglied in einer Facebook-Gruppe namens »Check-in Stalkers«, die gegenseitig damit prahlen, wie sie mit erfundenen Geschichten Frauen aufreißen, die sie via Foursquare, Gowalla oder Facebook schnell ausgekundschaftet haben, nachdem sie in eine Bar oder einen Club eingecheckt haben. Entsetzt blickt Karola auf, vor ihr steht »Robert« alias Georg und grinst schief. Sie wirft sein Telefon auf den Tisch und macht sich davon. Der Abend ist für sie gelaufen. Lydias Woche auch, aber davon weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
Geschichten wie diese passieren in letzter Zeit immer öfter. Natürlich sind nicht die Lokationsdienste schuld an Einbrüchen oder Belästigungen. Ihre leichtsinnige und schrankenlose Verwendung erhöht aber das Alltagsrisiko deutlich. Kriminelle und Stalker haben schon immer die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit genutzt. Wenn ihnen die nötigen Informationen frei Haus, direkt aufs Telefon serviert werden, wenn man jegliche Vorsicht, zum Beispiel bei den Privatsphären-Einstellungen der Social Networks vergißt, wird man schnell zur leichten Beute. Die Folgen können dann durchaus heftig und wenig abstrakt werden, wie unsere kleine Geschichte illustriert.
7. Aber ich habe doch nichts zu verbergen!
Von Irrtum und Anmaßung einer hohlen Phrase
Der langjährige Trend, die staatlichen Datensammlungen auszuweiten, wird von einem altbekannten Spruch begleitet, der auch international in kaum einer Debatte um die Privatsphäre fehlt: »Wenn du nichts zu verbergen hast, brauchst du auch nichts zu befürchten.« Er spielt zum einen auf das Gewaltmonopol des Staates an, das sich doch nur gegen diejenigen richten würde, die nicht rechtschaffen sind. Unschuldige könnten angstfrei leben, nur die bösen Buben hätten einen Grund mehr, sich zu fürchten.
Zum anderen wird suggeriert, daß wir doch alle tolerante, freigeistige Menschen sind, die niemals ihren Vorurteilen und Ausschlußinstinkten freien Lauf lassen würden. Und wenn doch, dann war die betreffende Handlung oder Äußerung wohl so unmoralisch und verwerflich, daß die soziale Bestrafung gerecht ist. Von Betreibern und Apologeten kommerzieller Verbraucherüberwachung ist der Nichts-zu-verbergen-Slogan auch immer öfter zu hören. Warum soll das Sammeln und Auswerten detaillierter Profile nachteilig sein, wenn im Grunde den eigenen Geschmack treffende Angebote angenehmer sind als ziellose Werbung?
Über anderer Leute Leben bestimmen
Wer sich des Wertes der Privatsphäre bewußt ist und darauf besteht, muß sich meist erklären. Denn viele, die Datenrisiken noch nie selbst erfahren haben oder nicht verstehen wollen, daß man nicht sein komplettes Leben online stellen will, auch wenn man nichts zu verbergen hat, weigern sich oft, dies zu respektieren.
Der Einwand »Aber ich habe doch nichts zu verbergen« basiert auf der naiven, aber anmaßenden Annahme, daß die anderen gefälligst auch nichts zu verbergen haben. Wenn alle über alle alles wüßten, wäre die Welt eine bessere. Doch meist läßt sich bei den lautstarken Vertretern dieser Ansicht sehr schnell ein Punkt finden, den sie auf gar keinen Fall mit dem Rest der Menschheit teilen möchten. Dabei geht es nicht einmal um Untaten oder Vergehen. Oft genug sind es Krankheiten, kleine Persönlichkeitsbesonderheiten, wirtschaftliche Probleme oder sexuelle Vorlieben, die Menschen einfach für sich behalten möchten, nicht zuletzt, weil sie nicht ganz zu Unrecht vermuten, daß sie dafür von anderen abgeurteilt, diskriminiert, geringgeschätzt oder benachteiligt werden könnten.
Die Wahrheit ist doch: Jeder Mensch hat etwas zu verbergen. Die Frage lautet am Ende immer nur: Vor wem? Nicht umsonst werden die meisten Menschen beim Gedanken an ihre Gesundheitsdaten nachdenklich. Wer einmal in den Verdacht gerät, angeschlagen oder nicht mehr leistungsfähig zu sein, kann seine Karriere in einigen Unternehmen bereits als beendet betrachten. Statt seiner wird dann eher der Jüngere, Gesündere, potentiell
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