Die Datenfresser
Methoden der automatischen Vorabanalyse versuchen sie, auf diese Weise dafür zu sorgen, daß ihre menschlichen Analysten vorwiegend interessante Gespräche und Nachrichten auswerten. Spracherkennung, Stichwortsuche, semantische Analysen und statistisch-mathematische Modelle sind das täglich Brot der Geheimen. Ihre Methoden inspirieren Software-Start-ups, aber auch den durchschnittlichen Strafverfolger, der mehr und mehr davon profitiert.
Wissen über Menschen ist Macht
Ausgeübte Macht, die jemandem überlassen wird, ist in unseren Breiten in der Regel demokratisch legitimiert, überwiegend jedoch mindestens kontrolliert. Der Zugriff auf Daten bzw. das Wissen, das daraus generiert werden kann, ist eine der wenigen effizienten Möglichkeiten, ohne demokratische Legitimation an Macht zu gelangen. Denn daß Wissen Macht ist, gilt schon von alters her: Wissen über Menschen ist Macht über diese Menschen. Diese Erkenntnis bleibt auch im Internet-Zeitalter gültig. Es kommen jedoch zwei wichtige neue Faktoren hinzu.
Zum einen ist der Zugang zu allen möglichen Einzelinformationen über eine Person dank digitaler Vernetzung sehr viel einfacher und umfangreicher geworden. Früher war es recht mühsam, zu erfahren, was jemand liest, heute schaut man einfach auf die Amazon-Wunschliste und sucht direkt nach anderen Menschen, deren Interesse den gleichen Büchern gilt. Die Mitgliedschaft im Swingerclub war nur durch Zufall oder mühsame Recherche zu finden, heute reicht oft die Suche nach Personen im richtigen Alter im entsprechenden Postleitzahlgebiet, um einen Account auf den entsprechend spezialisierten Dating-Plattformen zu enttarnen. Das potentiell mächtige Wissen ist also weitaus mehr Interessenten als früher zugänglich. Mit der leichten Verfügbarkeit sinkt jedoch gleichzeitig die Hemmschwelle, möglicherweise sensible Informationen gegen jemanden zu verwenden.
Zum anderen ergibt sich durch die dauerhafte Speicherung und Auswertung digitaler Lebensäußerungen eine bisher allenfalls aus den Akten von Geheimdiensten bekannte Tiefe des Einblicks über die Lebenszeit. Was Spione und Rechercheure früher in wochenlanger Detailarbeit über die Lebensgeschichte eines Menschen zusammentrugen, ist heute mit ein paar Klicks erfahrbar. Zugleich werden Entwicklungen und Veränderungen sichtbar, Tendenzen zeichnen sich ab und sind – durch Vergleich mit ähnlichen Menschen – sogar zunehmend vorhersagbar.
Der amerikanische Wissenschaftler Ed Felten sieht eine solche überbordende, teilweise prognostische, vernetzte Sammlung als das »vielleicht schwierigste Thema rund um die Privatsphäre in der gesamten Menschheitsgeschichte« und mahnt, besonders im Hinblick auf Google, das Machtgefälle nicht ausufern zu lassen.
Die Grenzen der Individualität
Wer weiß, was ein Mensch liest, wen er kennt, was er tut, was er sagt, was er kauft, und das über Jahre hinweg, kann durchaus zutreffende Vorhersagen über sein zukünftiges Verhalten treffen. Ihn zu manipulieren wird einfach, wenn man weiß, was ihn bewegt, welche Sorgen er hat, wie er sich seine Zukunft vorstellt und wie sich die Lebensmuster von Menschen in ähnlichen Situationen und Verhältnissen entwickelt haben.
Waren es früher vorwiegend dicke Akten von Geheimdiensten, kombiniert mit der Erfahrung von Führungsoffizieren und Sachbearbeitern, sind es heute Algorithmen und Heuristiken, die auf schier unendlichen Datenbanken mit den digitalen Spuren menschlichen Verhaltens operieren. Die massenhafte Verarbeitung dieser digitalen Spuren menschlicher Lebensäußerungen macht es möglich, Muster im Verhalten zu erkennen, die man erst entdecken kann, wenn man wirklich viele solcher Spuren automatisch analysiert.
Auch wenn wir meinen, sehr individuell zu sein, sind wir doch in unserer scheinbaren Individualität anderen Menschen in vielen Aspekten sehr ähnlich. Was wir mit ihnen gemeinsam haben – Geschlecht, Alter, Einkommen, regionale Herkunft, Lebenslauffragmente, Einkaufsvorlieben, Bewegungsmuster, Kommunikationsverhalten – ermitteln Algorithmen im Handumdrehen. Viele verschiedenartige Merkmale zu kennen heißt auch, Verhalten vorhersagen zu können, zumindest mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit. Algorithmen berechnen, wieviel Zeit etwa einem Menschen für politische Arbeit in seiner Freizeit bleibt, ob er ein Organisationstalent hat oder ob er zu übertriebenem Gerechtigkeitssinn neigt.
Aus der Sicht solcher Typisierungsalgorithmen sind wir in unserer
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