Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Sache ernst. »Hör zu, Susann«, hob ich also an: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie Leid es mir tut, was damals passiert ist …« Ich wartete für eine Sekunde, ob sie mich unterbrechen würde, aber im Gegensatz zu Sven wollte Susann meine Entschuldigung wohl wirklich hören.
»Ob du es glaubst oder nicht«, fuhr ich also fort, »seit diesem Tag ist mein Leben ein ganzes Stück beschissener geworden. Es war das Dümmste und Widerlichste, das ich je getan habe!«
Susann sah mich neutral an. Sie erwartete noch mehr. Sven besaß das Taktgefühl, uns etwas Privatsphäre zu gönnen. »Lass uns tanzen«, sagte er deshalb und zog den eher widerwilligen Knut zu der kleinen Tanzfläche in einem der Hinterräume. Wir hörten Knut beim Davonstampfen noch in seinem Bariton nörgeln: »Zu Marillon kann ich nicht tanzen. Kein Mensch kann zu Marillon tanzen!«
Als die beiden verschwunden waren, sah ich Susann sehr lange an. Und fast wäre ich in Tränen ausgebrochen. Tränen, weil mir jetzt so schmerzhaft wie noch nie klar wurde, was ich da verloren hatte. Oder waren es Tränen der Erleichterung, weil Susann endlich wieder in meinem Leben war – wenn auch nur mit einem Fuß, zögerlich und mit der Hand an der Türklinke des Hinterausgangs?
»Weißt du, was am meisten wehtut?«, fragte ich Susann. Sie sah mich nur an. »Dass ich mich fast täglich frage, wie mein Leben wohl aussähe, wenn ich in dieser Nacht nicht durchgedreht wäre!« Ich hatte einen gigantischen Kloß im Hals.
»Du und ich«, sagte Susann – und ich meinte zu bemerken, dass nun auch ihre Augen feucht wurden –, »Du und ich, wir wären jetzt verheiratet und hätten Kinder.«
Ich schluckte.
»Aber du bist nun mal durchgedreht«, fügte sie an. »Und es war mir unmöglich, dir zu verzeihen!«
Ich fühlte mich, als würde ich geprügelt.
»Kannst du es jetzt?«, fragte ich ängstlich.
Susann zögerte. Doch dann nickte sie: »Ja.« Und nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Doch jetzt ist es nicht mehr so viel wert.«
Ich schwieg. Ich war glücklich und am Boden zerstört zugleich. Susanns Worte waren sowohl eine Liebeserklärung wie auch ein Schlussstrich. Es war ein schmerzhaft großes Gefühl, das mich übermannte. Ich hatte kaum noch damit gerechnet, dass ich jemals wieder so tief in meine Seele hineinhorchen würde.
Susann und ich saßen nur da, sahen schweigend aneinander vorbei. Marillon war verstummt, und nun dröhnten die Simple Minds aus den Lautsprechern : Don’t you forget about me . Die laute Musik bewahrte uns davor, etwas Dummes oder – noch schlimmer – etwas Banales zu sagen. Es gab einfach keine richtigen Worte mehr, zumindest für den Moment. Also erhob sich Susann irgendwann, nahm ihre Jacke von der Stuhllehne und fragte mich: »Hast du Lust, morgen mit mir zu frühstücken?«
»Ja!«, antwortete ich schnell.
»Um zehn«, sagte sie. »Sven und Knut haben meine Adresse.«
Ich nickte.
Sie hatte sich schon zwei Schritte von mir entfernt, da drehte sie sich noch einmal um, kam zurück, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Wange: »Schön dich wieder zu sehen, Piet.«
* * *
»Nehmt’s mir nicht übel, aber ich muss morgen früh einen Flieger nach Frankfurt nehmen«, äffte Sven Norbert nach, wobei er Susanns Verlobten eine näselnde Stimme unterstellte, die der gar nicht hatte. »Einen Flieger nach Frankfurt!«, motzte Sven. »Was für ein Vollidiot nimmt ein Flugzeug von Hamburg nach Frankfurt? Bis man mit dem Auto am Flughafen ist, ist man mit dem Zug doch schon in Hannover! Und von Hannover bis Frankfurt, das ist doch höchstens nur noch … äh … also, auf jeden Fall nicht mehr weit!«
»Ab Hannover ist Süddeutschland!«, verkündete Knut, der ganz oben in Friesland aufgewachsen war und deshalb den Äquator in der Nähe der Schweiz vermutete. »Und da wollen sowieso nur Schwachköpfe hin!«
Sven und Knut gingen Arm in Arm und leicht schwankend die Stufen im Treppenhaus hinauf. Sie hatten noch ein paar Bier und Wein im Pickenpack getrunken, nachdem Piet sich überraschend schnell verabschiedet hatte. Und beide – erstaunlicherweise auch der massige Knut – vertrugen Alkohol nicht besonders.
»Und während Norbert im Flieger sitzt, wird unser Piet beim Frühstück die süße Susann zurückerobern!«, prophezeite Sven.
»Der liebe Piet und die süße Susann!«, brummte Knut bestätigend und suchte in seinem Rucksack nach dem Haustürschlüssel. Plötzlich spürte er, wie Sven
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