Die Depressionsfalle
verschiedenen kulturellen Räumen stellt uns wichtige Erkenntnisse zur Verfügung, die auch für unseren kulturellen Raum von Bedeutung sind. In der modernen multikulturellen Gemeinschaft leben Gruppierungen miteinander, die in einem Mikrokosmos die differenten Interpretationen von Krankheit und Gesundheit, von der Bedeutung von Gefühlszuständen undStimmungen und damit auch von der Bedeutung âder Depressionâ repräsentieren, die wir in der transkulturellen Forschung finden. In diesen gemischten Kulturen ist dementsprechend nicht davon auszugehen, dass eine einzige Behandlung für alle Personen, die Anzeichen einer Depression oder Dysphorie zeigen, geeignet ist und dass, wenn man die kulturellen, religiösen und ethnischen Verschiedenheiten vernachlässigt, in manchen Fällen dann die Behandlung im Gastland einer âpharmakologischen Kolonialisierungâ entspricht.
Strategie 12: Einsatz finanzieller Macht â Lobbying auf höchstem Niveau
In den USA, in denen einerseits die Antidepressiva am meisten verschrieben werden, andererseits aber auch die Kritik an den Praktiken der Pharmaindustrie am schärfsten ausfällt, wird auch der politische Einfluss, den die Konzerne ausüben, hinterfragt. Die Macht der Pharmaindustrie, speziell jener Konzerne, die Antidepressiva erzeugen, wurde daraus abgeleitet, dass ranghohe Mitglieder der Regierung dieser Branche entstammten. âHeutzutage fällt es schwer, einen Unterschied zwischen der Pharmaindustrie und der Regierung zu sehenâ, schrieb Carl Eliott, der darauf hinwies, dass in der Bush-Administration der Budgetdirektor Mitch Daniels früher Vizedirektor bei Eli Lilly und der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vorher Präsident und CEO der Firma Searle gewesen waren, die dem Konzernimperium von Pharmacia, der Erzeugerfirma von Xanax, angehört. Die Entscheidung der FDA aus 1997, direkt an Patienten gerichtete Werbung in populären Medien zuzulassen, fällt allerdings in die Regierungsperiode von Bill Clinton.
Wir können an dieser Stelle nicht ausführlich und tiefgreifend darüber informieren, wie die Pharmaindustrie ihre finanzielle Macht über die direkte Beeinflussung der Ãrzteschaft und des akademischen Milieus hinaus einsetzt. Die beste Informationsquelle über dieses brisante Thema ist bis heute Marcia Angells Buch
The Truth About the Drug Companies
(2004), das bereits im selben Jahr unter dem Titel
Der Pharma-Bluff
auch in deutscher Ãbersetzung erschienen ist. Angell zeigt auf, dass über den Einfluss auf die praktizierendenÃrzte, die Weiter- und Fortbildung und die akademische Welt hinaus von der Pharmaindustrie auch immense Mittel für den Kampf um Marktpositionen und die Aufrechterhaltung überhöhter Preise eingesetzt werden, und wie sie auch in der groÃen Politik mitmischt, um Veränderungen dieses Zustandes zu verhindern.
Marcia Angell weiÃ, wovon sie schreibt. Die 1939 geborene Autorin ist eine ausgewiesene Expertin, die vom
Time
-Magazin einmal als eine der 25 einflussreichsten Persönlichkeiten in den USA bezeichnet wurde. In ihrer akademischen Position arbeitete sie in Harvard als Senior Lecturer in der Abteilung für Sozialmedizin. Sie war 21 Jahre lang Chefredakteurin des
New England Journal of Medicine
(NEJM), des weltweit angesehensten medizinisch-wissenschaftlichen Journals. Der Band
The Truth About the Drug Companies
wurde vom US-Wirtschaftsmagazin
Forbes
innerhalb der âBusiness Books of the Year 2004â an vierter Stelle gereiht.
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Die Entwicklung
der Psychiatrie
In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation aus 1946 wurde Gesundheit neu definiert und das Recht auf Gesundheit festgeschrieben: âDie Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung. Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit; sie hängt von der engsten Zusammenarbeit der Einzelnen und der Staaten ab.â
Diese Definition war demokratiepolitisch und hinsichtlich der Menschenrechte ein ungeheurer Fortschritt. Leider kann sie, wie alle gutgemeinten Vorhaben, auch missbraucht
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