Die Depressionsfalle
Verwendung in der Behandlung depressiver Zustandsbilder fand, war das Opium. Diese Anwendung verliert sich in der Geschichte und fand eine erste Strukturierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, zugleich mit dem Ende der romantischen Ãra der Psychiatrie. Das erste Konzept des Gebrauchs einer Substanz zu psychotherapeutischen Zwecken wurde in Deutschland mit der Opiumkur gegen Melancholie von der Familie Engelken eingeführt. Diese Familie gründete in der Nähe von Bremen zwei psychiatrische Privatkliniken, in denen ein zunächst geheim gehaltenes Behandlungskonzept entwickelt wurde. Es handelte sich um eine Behandlung der Melancholie mit Opium. 34 Laut Geert Benning (1936) verbrauchte Engelken recht groÃe Mengen der Substanz: in jeder der beiden Einrichtungen 20 Kilogramm Opium pro Jahr. 35 Hermann Engelken veröffentlichte die Ergebnisse dieses therapeutischen Zugangs erstmals 1844. Diese Publikation rief lebhaftes Interesse hervor und führte schlieÃlich dazu, dass die bedeutendsten Vertreter der modernen naturwissenschaftlichen Psychiatrie diese therapeutische Methode übernahmen. Die Entwicklung fand im internationalen Raum statt. In England, das in dieser Periode eine führende Nation in der Entwicklung innovativer psychiatrischer Konzepte war, schrieben John Charles Bucknill und Daniel Hack Tuke 1879 in ihrem
Handbuch der psychologischen Medizin
: âOpium ist die rechte Hand des Arztes in der Behandlung der Geisteskrankheit. Es ist ein wahrer Balsam des verletzten Geistes, ein Sedativum in der Manie und ein Kräftigungsmittel in der Melancholie.â 36
Diese Behandlungsmethode wurde verfeinert und man gelangte zu einer differenzierten Sicht des Einsatzes von Opium bei verschiedenen Ausprägungen der Störungen der Stimmung und der Gefühle. Richard von Krafft-Ebing empfahl in seinem
Lehrbuch der Psychiatrie
1879 die Anwendung von Opium vor allem für die Anfangsstadien der Melancholie. 37 Der Schweizer Psychiater Robert Binswanger schrieb etwas später, 1898, in seinen
Vorarbeiten zu einer schweizerischen Irrengesetzgebung
: âOpium gehört doch auch gewissermaÃen zu den chemischen Zwangsmitteln, welche dauernd angewendetwerden, und ist eines unserer zuverlässigsten und gefahrlosesten Mittel. Ganz anders verhält es sich natürlich mit dem Morphium und dem Chloral.â 38
Der Begriff âchemisches Zwangsmittelâ ist interessant. Man kann aus seiner Verwendung ableiten, dass der Einsatz von Opium und von anderen Substanzen zu âpsychotherapeutischen Zweckenâ durchaus auch die Aufgabe hatte, Kontrolle über die Patienten auszuüben. Aber diese Verwendung galt dennoch als Meilenstein innerhalb der Wandlung der klinischen Psychiatrie von einer Behandlung, die oftmals die Anwendung extremer körperlicher Zwangsmethoden einschloss zu einer humanen Umgangsform mit psychisch Kranken, die auf den Einsatz körperlicher Zwangsmittel (Zwangsjacke, Gitterbett u. ä.) weitgehend verzichtete.
Obwohl von den Verfechtern der Methode stets behauptet wurde, dass bei korrekter Durchführung der Opiumkuren bei Melancholie die Gefahr gering zu schätzen sei, dass dadurch eine Opiumsucht ausgelöst werden könne, führte dennoch die zunehmende Problematisierung der Suchtphänomene als medizinische und gesellschaftliche Problembereiche dazu, dass auch Opiumkuren in Misskredit gerieten und immer weniger eingesetzt wurden. Allerdings wurde trotzdem die Empfehlung, Opium in der Behandlung der Melancholie einzusetzen, bis in die 1960er Jahre aufrecht erhalten, bis schlieÃlich diese Behandlungsform erst nach und nach vom Einsatz der damals neuen Antidepressiva abgelöst wurde. Noch in der erweiterten 10. Auflage des Lehrbuchs der Psychiatrie von Eugen Bleuler, die 1966 erschien, findet sich die Empfehlung, bei ängstlicher Depression Opium einzusetzen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil einerseits Bleulers Werk als Standardwerk und andererseits Bleuler selbst als Vorkämpfer gegen alle Arten der Sucht gilt. Auch er hielt jedoch die Auffassung aufrecht, dass bei dieser Art der Anwendung des Opiums das Auftreten süchtiger Entwicklungen nicht befürchtet werden müsse. 39
Koka und Kokain
Das nächste Mittel, das im späten 19. Jahrhundert zur Behandlung depressiver Erkrankungen eingeführt wurde, war das Kokain. Etlichenamhafte Autoren dieser Periode setzten sich für diese Behandlungsmethode ein. Natürlich muss
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