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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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man bei dieser historischen Betrachtung bedenken, dass damals depressive Zustandsbilder unter anderen Namen beschrieben wurden als heute. Es gab einerseits die „Melancholie“, die heute weitgehend in das Spektrum der ‚Major Depression‘ fällt, zum andern aber entsprachen Störungen, die damals als Neurasthenie, Asthenie oder allgemeine Schwäche beschrieben wurden, Erscheinungsformen, die heute dem Spektrum depressiver Störungen zugeordnet werden.
    â€žCocazubereitungen“ bzw. Kokain wurden zur Behandlung dieser Zustandsbilder empfohlen. Zu den Befürwortern dieser Behandlungsmethode zählte auch Sigmund Freud, der in Wien mit der Droge experimentierte und die erste deutschsprachige Monographie über „Coca“ verfasste. 40 Da das Kokain eine stimulierende, erregende Wirkung entfaltet, muss sein Effekt auf einem Wirkungsmechanismus beruhen, der dem des Opium direkt entgegengesetzt ist. Anders als die Opiumkur gewann die Depressionsbehandlung mit Kokain kaum Verbreitung, da recht rasch die medizinische und gesellschaftliche Bedeutung des Kokainmissbrauchs erkannt wurde.
    Eines muss aber festgehalten werden: Die ursprünglichen Beobachtungen zur antidepressiven Wirksamkeit so verschiedener Substanzen wie Opium und Kokain bereiteten den Forschungsaktivitäten zur Behandlung der Depression den Weg. Diese Beobachtungen führten zu der therapeutischen Überlegung, dass der depressiven Verstimmung, entsprechend der Verschiedenheit der Ursachen der Erkrankung und der verschiedenen Ausprägungen, unter denen sie verlaufen kann, auf zwei Wegen der Pharmakotherapie begegnet werden kann: der Dämpfung und der Stimulation. In der Folge wurden auch weiterhin sowohl neu entwickelte, dämpfende Substanzen als auch neue anregende Substanzen auf ihre antidepressiven Wirkungen untersucht. Das Wirkstoffpaar, mit dem diese Tradition weitergeführt wurde, waren die Barbiturate als dämpfende und die Amphetamine als erregende Substanzen. Die beiden Stoffgruppen wurden etwa zeitgleich entwickelt.
Barbiturate
    Die Barbiturate galten am Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst als neuartige und wirksame Schlafmittel. Entdeckt und in die Behandlung eingeführt wurden sie in Deutschland, wo bestimmte Produkte unter Markennamen wie Veronal oder Luminal weite Verbreitung fanden. Der Siegeszug der Substanzen breitete sich jedoch international aus. Besonders in den USA wurden neue Barbitursäurepräparate entwickelt, die den Arzneimittelmarkt im Sturm eroberten. Besondere Bedeutung für die Anwendung als psychiatrische Spezialität gewann das von der Firma Lilly produzierte Amytal.
    Die Substanzgruppe wurde rasch in die Behandlung depressiver Zustandsbilder, die sich in dieser Zeit hinter den Indikationsbereichen „Nervosität“, „Schlafstörung“, „nervöse Spannung“, „nervöse Gereiztheit“ verbargen, eingeschleust. Barbiturate wurden auch als frühe „psychotherapeutische Drogen“ genutzt, indem um ihren Einsatz das Konzept der Narkoanalyse entwickelt wurde. Amytal war die Substanz, der nachgesagt wurde, dass man sie als „Wahrheitsserum“ in der Psychotherapie und der kriminologischen Wahrheitsfindung einsetzen könne. Amytal war auch die Substanz, die ganz konkret als Antidepressivum bzw. auch zur Behandlung des manisch-depressiven „Irreseins“ Verwendung fand. Der US-amerikanische Psychiater William Bleckwenn von der Universität von Wisconsin schrieb 1930, dass Amytal manische Episoden sofort beende und depressive Phasen merklich verkürze. Er hatte beobachtet, dass Patienten sich in depressiven Phasen unter der Amytal-Behandlung aktivieren, mehr essen und besser schlafen. Besonders betonte Bleckwenn, dass der Effekt sich außerordentlich rasch einstelle. Viele Patienten seien in zwei bis drei Wochen „völlig gesund“.
    Für damalige Zeiten waren die Barbiturate auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Riesenerfolg. Kein anderes in der Psychiatrie verwendetes Arzneimittel hatte bis dahin vergleichbare Verbreitung gefunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg steigerte sich die Beliebtheit dieser Stoffe noch weiter. Waren 1936 in den USA noch 150.000 Kilogramm verbraucht worden, steigerte sich diese Verkaufszahl bis 1960 auf nahezu unglaubliche 426.000 Kilogramm. Der bekanntePsychiater und Suchtforscher Joel Fort berechnete 1964, dass diese Menge gereicht hätte, um jeden einzelnen

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