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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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Bronchialasthma von dem Pharmaunternehmen Smith, Kline & French Laboratories Ltd. vermarktet.
    Psychoaktiven Wirkungen der Substanz wurde allerdings aufgrund zufälliger Beobachtungen über Eigenschaften der Substanz bereits ab den späten 20er Jahren Interesse entgegen gebracht. 1929 entdeckte Allen die „weckende-maniforme“ Eigenschaft der Substanz in einem Selbstversuch. Obwohl er nicht schlafen konnte und seinen Herzschlag verdeutlicht wahrnahm, verspürte er Wohlbehagen. Gleichzeitig beobachtete er das Auftreten von Gedankenflucht: Seine Gedanken schienen „durch die Nacht zu irren und nicht fähig zu sein, sich zu entscheiden, bei einem Thema zu verharren“. 41 Das war ein Selbstversuch eines „gesunden“ Konsumenten. In der medizinischen Anwendung der neuen Substanz machte George Piness an seinen Asthmapatienten, denen er Benzedrin als Heilmittel gab, ähnliche Beobachtungen. 42 Als 1936 die Markteinführung von rezeptfrei erhältlichen Benzedrine-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je zehn Milligramm Amphetamin erfolgte, wurde es möglich, neue Anwendungsbereiche der Substanz jenseits der Verwendung als Anti-Asthmatikum zu erforschen.
    1936 wurde die antidepressive Wirksamkeit überprüft und erkannt. Eric Guttmann, 1933 aus Berlin nach London emigriert, war der erste Psychiater, der die Amphetamine gegen Depression einsetzte. Er arbeitete damals im berühmten Maudsley Hospital und befasste sich dort mit neurowissenschaftlichen Fragestellungen und mit dem Zusammenspiel psychischer und organischer Störeinflüsse bei psychiatrischen Krankheiten. Besondere Bekanntheit erlangte er dadurch, dass er Mescalin-Experimente durchführte und sich mit der künstlerischen Produktion psychotischer Patienten auseinandersetzte. Guttmann verabreichte Benzedrin an 25 Kranke, an denen verschiedene psychische Störungen diagnostiziert worden waren. Im Mai 1936 wurden die Ergebnisse dieses therapeutischen Experiments erstmalig veröffentlicht. Guttmann und sein Mitarbeiter beschrieben erstaunliche Erfolge, wobei sie sich insbesondere davonüberrascht zeigten, dass die Patienten auf die Einnahme des Benzedrin nicht ängstlich reagiert hätten. Schließlich ist Benzedrin mit Adrenalin, das angstauslösend wirkt, nahe verwandt.
    Guttmann und sein Mitarbeiter konnten zwei Effekte beobachten: Die Patienten wurden gesprächig und ihre Stimmung hellte sich auf. Diese Effekte traten bei depressiven Patienten am deutlichsten auf; die Depressiven überwanden ihre Hemmung und begannen frei zu sprechen. In keinem Fall war zu beobachten, dass die Depression sich verstärkte oder Angst auftrat. Die Stimmungslage änderte sich vielmehr in Richtung Euphorie.
    Guttmann intensivierte diese Forschung und verfolgte differenziertere Fragestellungen. In einer teils Placebo-kontrollierten Studie an einer größeren Patientengruppe, die er mit William Sargent durchführte, wurde deutlich, dass Benzedrin nicht für die Behandlung schwerer Depressionen geeignet sei, wohl aber für die Behandlung „nichtmelancholischer Depressionen“. Eine Plazebo-kontrollierte Studie ist dadurch charakterisiert, dass die Wirksamkeit eines Arzneimittels im Vergleich mit einem chemisch neutralen Scheinmedikament untersucht wird.
    Ã„hnliche Ergebnisse wurden im gleichen Zeitraum aus den USA berichtet. In Boston verabreichte Abraham Myerson 1936 „normalen und neurotischen“ Personen Benzedrin und fand heraus, dass die Substanz merklichen, wenn auch begrenzten Einfluss auf Neurosen hatte. Weise angewendet reduziere sie Unlustgefühle und erhöhe das energetische Wohlbefinden.
    In der berühmten Mayo-Klinik in Rochester wurde 1937 eine größere Studie durchgeführt, die diese Erkenntnisse vertiefte. 100 Patienten, die entweder an Erschöpfung, Depression oder Neurosen litten, wurden mit Amphetamin behandelt. Es erwies sich, dass die neurotischen Patienten von dieser Behandlung am wenigsten profitieren konnten, während vier Fünftel der Depressiven und der Erschöpften eine merkliche Verbesserung ihres Zustands aufwiesen.
    In den folgenden Jahren wurden weitere Studien durchgeführt, die im Allgemeinen die ersten Eindrücke bestätigten. 1948 fasste der bekannte Pharmakologe Torald Sollmann die Erkenntnisse kurz und prägnant zusammen: „Benzedrin ist nützlich als symptomatischwirksames Mittel bei leichten depressiven

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