Die Depressionsfalle
Publikationen dieser beiden Psychiater gilt die Lichttherapie als das Mittel der Wahl bei der besonders im Winter auftretenden saisonalen Depression. Manche Psychiater schreiben der Methode eine umfassendere Bedeutung zu und meinen, dass sie auch bei anderen Formen schwerer depressiver Zustände entweder selbst wirksam sei oder zumindest eine unterstützende therapeutische Funktion erfülle.
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Die Geschichte
der Psychopharmaka
âTod, Schmerz und Trauer sind elementare Inhalte der menschlichen Existenz. Alle Kulturen haben Mittel entwickelt, den Menschen dabei zu helfen, diese Erfahrungen zu ertragen. In der Tat könnte Gesundheit als erfolgreiches Zurechtkommen mit diesen Realitäten definiert werden. Die moderne Medizin hat unseliger Weise diese kulturellen und individuellen Fähigkeiten zerstört und einem unmenschlichen Versuch den Weg bereitet, um Tod, Schmerz und Krankheit zu überwinden. Damit hat sie den Willen der Menschen, zu einem für sie geeigneten Umgang zu finden, torpediert. Die Leute wollen heute unterrichtet, angetrieben, behandelt oder geführt werden, anstatt zu lernen, zu heilen und ihren eigenen Weg zu finden.â 33
Ein Blick auf die Geschichte der Psychopharmakologie und auf die Entwicklung der medikamentösen Behandlung depressiver Zustandsbilder soll ermöglichen, die gesellschaftlichen und medizinischen Probleme zu erkennen, die diesen Prozess begleiten bzw. von ihm ausgelöst werden. Die historische Aufarbeitung kann uns befähigen, die aktuelle Situation zu hinterfragen und aus der Geschichte zu lernen, um für zukünftige Probleme besser gerüstet zu sein.
Ein auffälliger Aspekt dieser Geschichte ist, dass sie weitgehend vom Zufall bestimmt worden ist. Bei der Entwicklung von Arzneimitteln für ganz andere Anwendungsgebiete wurden als unerwartete Nebeneffekte psychoaktive bzw. antidepressive Wirkungen gefunden. Trotzdem kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Entwicklung der Psychopharmakologie das Interesse für die körperlichen Grundlagen psychischer Erkrankungen neu entfacht und das Verständnisfür diese Zusammenhänge erweitert hat. Neurowissenschaftliche Theorien und Spekulationen, die auf Erkenntnissen der Arzneimittelforschung und auf Beobachtungen der Arzneimitteleffekte an Patienten aufbauen, haben die psychiatrische Theorie und Praxis entscheidend beeinflusst. Dieser Prozess läuft nunmehr seit über 100 Jahren ab und hat dann seit den 1950er Jahren entscheidende Entwicklungsschübe durchgemacht. Vieles an der klinischen Psychiatrie hat sich seither verändert. In mancher Hinsicht haben bestimmte Gruppen von Patienten von der Entwicklung profitiert.
Gleichzeitig sind aber auch innerhalb dieses Prozesses recht problematische Entwicklungen zu beobachten. Die Psychiatrie steht davor, ihre Identität als medizinische Spezialwissenschaft zu verlieren. Kritische Stimmen behaupten, dass das Krankheits- und das Behandlungskonzept der Psychiatrie in Verlust zu geraten drohen, da nicht mehr die Behandlung an definierte Krankheitsbilder angepasst wird, sondern vielmehr neuerdings Krankheiten anhand des Wirkungsspektrums der Arzneimittel neu definiert werden. Dabei kann es geschehen, dass bislang noch als ânormalâ geltende Empfindungen und Reaktionen mit einer Krankheitszuschreibung belegt werden.
Das Verständnis der Depression, das in dieser kulturellen Situation entwickelt worden ist, scheint diese Problematik in besonderer Weise widerzuspiegeln. Ist doch die Zunahme der Häufigkeit der Diagnose âDepressionâ durchaus auch als das Resultat des Umstandes zu verstehen, dass nicht so sehr die Häufigkeit schwerer depressiver Erkrankungen zugenommen hat, als vielmehr das Bestreben alle Symptome, die auf irgendeine Weise mit dem breiten und diffusen Prinzip âDepressionâ zusammenzuhängen scheinen, unter medizinische Kontrolle zu bringen und zu behandeln. Neben anderen gesellschaftlichen Prozessen, die diesen Wandel begünstigten, fungiert als stärkster Motor dieses gesundheitspolitischen Geschehens die Entwicklung von Substanzen mit psychoaktiver Wirkung, wobei ökonomische Interessen eine bestimmende Rolle spielen. Grund genug, sich mit der Geschichte der Psychopharmakologie und mit ihrem Einfluss auf die Geschichte der Psychiatrie und der Konzeptualisierung der Krankheit Depression zu befassen.
Opium
Das erste Psychopharmakon, das in der europäischen Psychiatrie
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