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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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sei. In diesem Diskurs werden grundsätzliche Zweifel geäußert: Zum einen sei die Hypothese schon deshalb nicht zu überprüfen, weil man das Serotonin in menschlichen Zellen nicht bestimmen könne, zum andern sei es auch klar, dass die Vorstellung zu simpel sei; das Gehirn funktioniert nicht so einfach, es ist kein hydraulisches System. Selbst Peter Kramer, der Verfasser des Buches
Listening to Prozac
, das vielerorts als Propagandaschrift für einen breiten Einsatz der SSRI verstanden worden ist, distanzierte sich 2002 in einem klärenden Brief an die
New York Times
von der Serotonin-Hypothese.
    Die SSRI verloren in diesem Prozess ihren Zauber. Man war sich zunehmend unklar darüber, wie sie eigentlich wirkten, erkannte die Grenzen ihrer Einsatzmöglichkeiten und hörte mehr und mehr über negative Auswirkungen des Gebrauchs. Man musste erkennen, dass sie, nicht viel anders als die älteren Antidepressiva, nur bei etwa 60 Prozent der Patienten, denen sie verordnet wurden, die erwünschte Wirkung entfalten konnten, und dies oft erst nach Kombination mit anderen Substanzen. Um das therapeutische Angebot zu erweitern, wurden Substanzen entwickelt, die nicht nur im serotonergen System wirksam werden, sondern auch im noradrenergenen, die sogenannten Serotonin-Norepinephrine-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), Venlafaxin (Efectin), Milnacipran (Ixel), Duloxetin (Cymbalta). Diese Substanzen werden bei Depressionen empfohlen, die durch Antrieblosigkeit und Interesselosigkeit gekennzeichnet sind.
    SSRI nehmen in der Palette der Therapieangebote nicht mehr den Sonderplatz ein, der ihnen früher eingeräumt wurde. Dass sie immer noch als Arzneimittel der ersten Wahl gelten, ist eher darauf zurückzuführen, dass ihnen nachgesagt wird, seltener unerwünschte Nebenwirkungen auszulösen, und dass bei ihrem Gebrauch kein Abhängigkeitsrisiko besteht.
    Für die Pharmaindustrie wurden die Arzneimittel dieses Typs wohl auch zunehmend uninteressant, weil Patente ausliefen und sichdie Industrie unangenehmen Fragen über ihre Vermarktungspraktiken stellen musste und in kostspielige Prozesse verwickelt wurde.
Post-Prozac-Fragmentierung
    â€žWas soll das alles bedeuten? Irgendwie funktionieren die Antidepressiva bei manchen Patienten. Wir verstehen das besser, wenn wir die anderen Auswirkungen, die diese Drogen aufs Gehirn ausüben, anschauen.“ 60
    Nach der Entzauberung der SSRI ist die Suche nach für die Depressionsbehandlung geeigneten Psychopharmaka in eine neue Phase getreten. Derzeit ist vor allem eine Neuinterpretation der therapeutischen Möglichkeiten, die in alten, teilweise verpönten Substanzen zu finden sind, zu beobachten.
    Zum einen wird Forschung zu Substanzen betrieben, die auf das körpereigene Endorphinsystem wirken. Wir haben früher darauf hingewiesen, dass Opium als Heilmittel bei der Melancholie zum Einsatz kam. Da man heute ohnehin davon ausgeht, dass zwischen Depression und Sucht eine enge Beziehung besteht, ist es nicht verwunderlich, dass das System, das in unserem Organismus opiatähnliche Stoffe produziert, die unsere Schmerzwahrnehmung, unsere Affekte und unsere Stressantwort regulieren, hinsichtlich seiner Beteiligung an Erkrankungen des Gemüts und der Affekte beforscht wird. Man konnte finden, dass an einer der Bindungsstätten innerhalb des körpereigenen Endorphinsystems, die dieser Regulation zur Verfügung stehen – den kappa-Rezeptoren –, Prozesse ablaufen, die zum Verständnis der Depression beitragen können und die man auch zur Entwicklung neuer antidepressiver Substanzen nutzen kann. Die Industrie setzt derzeit auf diese Möglichkeit große Hoffnung.
    Zum anderen wird eine weitere Substanz in letzter Zeit als Antidepressivum untersucht, das Ketamin. Dieses Arzneimittel wurde 1962 als Narkosestoff für die Human- und Veterinärmedizin entwickelt und wird seit 1966 in diesem Anwendungsbereich eingesetzt. Außerdem wird es bei behandlungsresistentem Asthma verschrieben.Ketamin wirkt auch stark auf Bewusstseins- und Wahrnehmungsprozesse, es ist imstande, sogenannte „dissoziative Bewusstseinszustände“ auszulösen. Wegen dieser Wirkungsqualität wurde es auch als „psychotherapeutische Droge“ in psychotherapeutischen Experimenten angewendet. Außermedizinischer Gebrauch in kleinen Gruppen, die die Substanz als bewusstseinserweiterndes Rauschmittel verwenden, ist seit den 70er Jahren

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