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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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worden, Fluoxetin wurde 1973 synthetisiert und in Deutschland bereits 1975 patentiert. Die amerikanische Patentierung erfolgte 1982, also acht Jahre bevor die Substanz in den USA als SSRI für die Psychiatrie vermarktet wurde. Die lange Vorlaufzeit der Zulassung des Fluoxetin hatte ihre Gründe. Zum einen wurden in Testanwendungen ernstzunehmende Nebenwirkungen beobachtet, zum andern wurde der antidepressive Effekt bestritten. In den ersten klinischen Versuchen, die in den frühen 70er Jahren abliefen, wurde beobachtet, dass die Patienten unruhig wurden und psychotische Symptome sich verschlechterten. Bei schweren, hospitalisierten depressiven Patienten wurden keine Erfolge beobachtet. Die Ergebnisse der frühen Studien sind außerdem schwer zu interpretieren, weil die Testpatienten oft zusätzlich mit Benzodiazepinen behandelt wurden. Die Nebenwirkungen, die beobachtet wurden, umfassten Ängstlichkeit, Nervosität, Schlaflosigkeit, Ermüdbarkeit, Zittern und Störungen des Magen-Darm-Trakts. Therapieversuche gegen Übergewicht, Schmerzen und Dystonie schlugen ebenfalls fehl. All dies führte dazu, dass Lilly seine Pläne, das Mittel auf den Markt zu bringen, fast fallen lassen wollte. Carlsson erinnerte sich im Interview, das er 2007 mit David Healy und Edward Shorter führte, dass anlässlich einer Konferenz in England der Vertreter von Lilly Alec Koppen auf seine Frage, warum man nicht Prozac gegen Depression versuche, geantwortet habe, dass Lilly nicht daran denke, diesen Versuch zu machen. Als dennoch versucht wurde, Prozac in Deutschland als Antidepressivum auf den Markt zu bringen, war die deutsche Zulassungsbehörde noch dagegen. Im Mai 1984 äußerte sie: „Bei der Bewertung des Nutzens und der Risken glauben wir, dass dieses Präparat für die Behandlung der Depression völlig ungeeignet ist.“ 58 Dennoch wollte die Herstellerfirma Lilly nicht ganz ihre Konkurrenz zu Merck aufgeben, das gerade Zelmin auf den Markt bringen wollte. Bei der Suche nach geeigneten Patienten fand man schließlich, dass die Substanz sich für die Behandlung leichter Depressionen als geeignet erwies.
    Diese Erkenntnis legte den Grundstein für neue exzessive Werbemethoden und Werbestrategien der Pharmaindustrie. Die Folge davon waren wiederum einschneidende Veränderungen in der Interpretation der medikamentösen Behandlung der Depression, die nicht ohne Folgen für die Psychiatrie als Wissenschaft und Praxis blieb.
    Die Diagnostik der verschiedenartigen depressiven Zustandsbilder und eine trennscharfe Klassifizierung nach deutlich erfass- und beschreibbaren Kriterien ist ein Problem, das die Entwicklung der Psychiatrie begleitet. Schon als die ersten modernen Antidepressiva entwickelt wurden, verlangten psychiatrische Forscher nach einem Umdenken in der Diagnostik. Gerald L. Klerman forderte 1973, externe, das heißt von der Symptomatologie unabhängige Kriterien als Grundlage der Klassifikation zu nutzen, wobei er unter diesen Kriterien unter anderen die folgenden verstand:
    â€¢ genetisch familiäre Faktoren
    â€¢ biochemische und physiologische Parameter
    â€¢ Reaktionen auf die Behandlung
    Die Art und Weise, wie die Wirkungsweise der neuen Antidepressiva beschrieben wurde und wie die psychiatrische Krankheit Depression zur Stoffwechselkrankheit uminterpretiert wurde, kann als Umsetzung dieser Vorstellung verstanden werden. Die biologische Psychiatrie tendiert dazu, Erkenntnisse der neurophysiologischen und pharmakologischen Forschung zur „Ursachenforschung“ bezüglich der Geistes- und Gemütskrankheiten umzufunktionieren. Seit den 50er Jahren lässt sich beobachten, dass vereinfachende Schlüsse gezogen werden, dass gewisse Imbalancen im Gehirnstoffwechsel und in den Mustern der Neurotransmitter und ihrer Bindungsstätten direkt psychische Störungen bewirken. Ebenso ist es geläufig, die Behandlung im Sinne der Verordnung von psychoaktiven Arzneimitteln von diesen Ursachenzuschreibungen abzuleiten. Die „Serotonin-Hypothese der Depression“, die in den 80er Jahren formuliert worden ist und nach der die Erkrankung als Ausdruck eines Serotonindefizits zu verstehen ist, war damals das letzte Glied in einer Kette von biologistischenErklärungsversuchen. Die neurobiologische Erklärung der Depression, die die Erkrankung als Ausdruck einer Imbalance im Transmitterstoffwechsel versteht, baute auf drei Annahmen bezüglich

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