Die Deutsche - Angela Merkel und wir
seine tiefe Sehnsucht nach dem fürsorglichenVater Staat sanft berührte«. Den Erfolg heimste allerdings nicht die oppositionelle Union ein, die den Aufschlag initiiert hatte, sondern wie üblich die amtierende Regierung. Bei der anschließenden »Willy-Wahl« erzielte die SPD das beste Ergebnis ihrer Geschichte.
Insofern folgten die Wähler einem richtigen Instinkt, als sie sich aus Protest gegen Schröders Reformagenda zunächst den Unionsparteien zuwandten. Sie hatten sich in den ersten 50 Jahren der Bundesrepublik daran gewöhnt, die beiden Volksparteien auf der Suche nach materiellen Vorteilen gegeneinander auszuspielen wie ein verwöhntes Kind seine Eltern. Auch deshalb haben die Unionsparteien insgesamt länger regiert, weil sie dieser Bequemlichkeit mit ihrem konservativen Konzept des Versorgungsstaats stärker entgegenkamen als die SPD. Deren anspruchsvollere Idee einer Aufstiegs- und Leistungsgesellschaft musste einer Mehrheit der Wählerschaft eher erscheinen wie die strenge elterliche Nachfrage, ob man seine Hausaufgaben denn schon gemacht habe.
Dieser Mechanismus erklärt, warum die neue politische Formation der Linkspartei nicht schon während der Agenda-Debatte des Jahres 2003 entstand, sondern im Bundestagswahlkampf 2005. Erst als die CDU-Vorsitzende Merkel mit dem Leipziger Parteitag und der Nominierung des Steuerexperten Paul Kirchhof auch dem letzten Wähler verdeutlicht hatte, dass von ihr sozialpolitisch nichts zu erhoffen war, öffnete sich der Raum für eine neue politische Formation jenseits der etablierten Volksparteien. Letztlich war es der Kurswechsel auch der Union, der den Erfolg der Linkspartei begründete. Die Agendapolitik derSPD allein hätte das nicht vermocht. Kurzfristig verzichtete Merkel mit ihrer Reformstrategie auf Stimmen aus dem sozialdemokratischen Spektrum. Langfristig bedeutete die Gründung der Linken für sie einen großen strategischen Vorteil: Die neue Partei spaltete das gegnerische Spektrum auf, und mit dem »Verräter« Oskar Lafontaine wollte die SPD anders als mit der biederen ostdeutschen Regionalpartei PDS nicht koalieren. Folglich entstand eine Konstellation, die der CDU und ihrer wendigen Vorsitzenden trotz immer schlechterer Wahlergebnisse eine Schlüsselstellung bei der Koalitionsbildung einbrachte.
Merkel hat also keineswegs eine »Sozialdemokratisierung« der CDU betrieben, sondern ganz im Gegenteil während ihrer Leipzig-Kirchhof-Phase die Partei von deren sozialpaternalistischen Wurzeln weggeführt. Die große Koalition mit der SPD half ihr, den neuerlichen Kurswechsel als Zugeständnis an den Regierungspartner zu verschleiern. Doch in Wirklichkeit leisteten die Sozialdemokraten gegen die Teilrücknahme der Hartz-Reformen anfangs erheblichen Widerstand, die Initiative ging von dem CDU-Politiker Rüttgers aus. Der sozialdemokratische Arbeitsminister Franz Müntefering wollte die Reformpolitik durch die Einführung der Rente mit 67 hingegen fortsetzen. Das Vorhaben fand zwar die Zustimmung Merkels, allzu offensiv hat sich die Vorsitzende der Rentnerpartei bei dem Thema allerdings nicht exponiert.
»Sozialdemokratisch« ist an Merkels Politik allenfalls der pragmatische Ansatz verantwortungsgeleiteter Politik, der Versuch, den Laden jenseits ideologischer Grundsätze irgendwie über Wasser zu halten – wie es die SPD währendder Weimarer Republik zeitweise bis an die Grenze der Selbstverleugnung getan hat. Die Neigung, fürs Gemeinwohl notfalls auch die eigene Mehrheitsfähigkeit zu riskieren, ist bei Merkel allerdings deutlich weniger ausgeprägt. Wahltaktisch ist das von Vorteil.
Die Versuche, innerhalb der CDU einen »konservativen« Widerstand gegen Merkel zu organisieren, scheiterten nicht zuletzt an dem Missverständnis, dass Konservatismus und Wirtschaftsliberalismus dasselbe seien. In Wahrheit lassen sich politisch-programmatisch kaum größere Widersprüche vorstellen als zwischen diesen beiden Prinzipien. Traditionell zeichnen sich die deutschen Konservativen durch eine starke Staatsorientierung aus. Im angelsächsischen Raum schuf sich die Zivilgesellschaft ihre politische Organisationsform im Wesentlichen selbst, in einigen südeuropäischen Ländern mit langer Tradition der Fremdherrschaft gilt der Staat als ferne Institution, die es zu klientelistischen Zwecken auszubeuten gilt. In Deutschland hingegen war er vielfach der Agent von Modernisierung und Reform, vorneweg in Preußen, aber auch in süddeutschen Ländern wie Bayern,
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