Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Württemberg und Baden. Auch Marktwirtschaft und Kapitalismus sind hierzulande seine Kinder.
Am deutlichsten zeigt sich diese Tradition bei dem badischen Konservativen Wolfgang Schäuble. »Wenn ich über Sie nachdenke, kommt mir das schöne Wort Dolf Sternbergers von der ›Staatsfreundschaft‹ in den Sinn«, sagte Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Mittagessen zu Schäubles 70. Geburtstag im Schloss Bellevue. »Sternberger bezeichnete damit die ›politische Gesinnung‹, die›staatszugewandte‹ innere Haltung, derer das Verhältnis der Bürger zur Stadt, zum Staat, zum Vaterland bedürfe. Sie, lieber Herr Schäuble, sind ein solcher Staatsfreund. Einer, der weiß, dass es des Staates bedarf, um Freiheit zu sichern.« Merkel selbst, die im Deutschen Theater auf einer Feier zu Schäubles Geburtstag sprach, ging auf diesen Aspekt seiner Persönlichkeit bezeichnenderweise nicht ein.
Nicht nur das Sozialmodell oder das Staatsverständnis, auch das Familienbild der Konservativen ist mit rein wirtschaftsliberalen Vorstellungen nur schwer zu vereinbaren. Insbesondere der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel hat darauf immer wieder hingewiesen. So verlangen die Arbeitgeberverbände vor dem Hintergrund eines drohenden Fachkräftemangels, möglichst viele Frauen in Erwerbsarbeit zu bringen, die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder zu verbessern und die Auszeiten für Erziehungszwecke bei Müttern und Vätern möglichst kurz zu halten. Ein als Inbegriff konservativer Vorstellungen gefeiertes »Betreuungsgeld«, das den Unternehmen Arbeitskräfte entzieht und noch dazu die Steuerbelastung erhöht, findet naturgemäß nicht deren Zustimmung. In einem umfassenderen Sinn ist auch das Ziel, unter Hintanstellung anderer Prioritäten viel Geld zu verdienen, möglichst viel zu konsumieren und damit die Volkswirtschaft anzukurbeln, mit dem christlichen Ideal des Maßhaltens schwer zu vereinbaren.
Kaum etwas hat in den vergangenen Jahrzehnten so viel zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beigetragen wie die Auflösung traditioneller Familienstrukturen. Leistungen,die bisher in keiner Statistik auftauchten, wurden in die ökonomische Sphäre überführt. An die Stelle von Thermoskanne und häuslichem Kochen sind »Coffee to go« und Suppenbar getreten. Die heimische Kinderbetreuung wurde durch sozialversicherungspflichtige Kita-Erzieher ersetzt. Die Inanspruchnahme professioneller Putzkräfte, früher ein Privileg der Oberschicht, hat sich in der sozialen Hierarchie weit nach unten ausgebreitet (in den meisten Fällen allerdings noch immer ohne Niederschlag in der amtlichen Statistik).
Zusätzlich verwirrt wurden die weltanschaulichen Fronten durch die Debatte über den Islam. Der Gesprächsleitfaden, den das baden-württembergische Innenministerium 2006 für Einbürgerungswillige mit muslimischem Hintergrund einführte, machte aus der positiven Einstellung zu Homosexualität und Frauenemanzipation eine Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Die Radikalität, mit der konservative deutsche Politiker auf einmal gegen konservative Muslime vorgingen, ließ sich mit dem Beharren auf eigenen Traditionsbeständen schwer vereinbaren. Klarer als die meisten CDU-Politiker hatten das die großen christlichen Kirchen erkannt, die das muslimische Bestreben nach eigenem Religionsunterricht oder theologischen Lehrstühlen an den Universitäten in der Regel unterstützten. Daraus sprach das Bewusstsein, dass es hier um die Rolle von Religion in der Öffentlichkeit überhaupt ging und nicht nur um spezifische Anliegen der Muslime.
Weitere Einsichten zu den gedanklichen Unschärfen mancher »konservativer« Merkel-Kritiker lassen sich ausdem Buch der früheren Kohl-Beraterin Gertrud Höhler gewinnen. Die These, die frühere DDR-Bürgerin Angela Merkel wolle nach dem Motto »gelernt ist gelernt« in Deutschland die Planwirtschaft wieder einführen, verdient keine ernsthafte Erörterung. Aufschlussreich sind dagegen die Ausführungen zur Euro-Krise. Als Zeugen für die Unfähigkeit der Kanzlerin zieht die Autorin sowohl den früheren CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz als auch den amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman heran. Dass der eine für eine strikte Austeritätspolitik und den Ausschluss überschuldeter Länder aus der Euro-Zone plädiert, der andere hingegen für eine großzügige Politik des lockeren Geldes, lässt die Literaturwissenschaftlerin
Weitere Kostenlose Bücher