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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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beiden Mappus-Söhne ist und dass Schavan die Gattin des Kurzzeit-Ministerpräsidenten aus der Frauen-Union gut kennt. Mit Mappus verbunden war Merkel auch durch dessen enge Weggefährtin Tanja Gönner, die nicht erst seit ihrer Zeit als baden-württembergische Umweltministerin die besondere Förderung der CDU-Bundesvorsitzenden genoss.
    Mappus drängte im Sommer 2010 auf verlängerte Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke, aber auch die beiden anderen Atomländer Bayern und Hessen. Doch als sich die führenden Politiker der Regierungskoalition am Abend des 5. September 2010 im Kanzleramt trafen, teilten sie vor allem einen Wunsch: Sie alle wollten dem damaligen Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der gerade um den nordrhein-westfälischen CDU-Landesvorsitz kämpfte, seine Grenzen aufzeigen. Röttgen hatte im Frühjahr seiner Partei geraten, sie solle sich »gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will«.
    Die Verlängerung der Laufzeiten war nun nicht mehr zu verhindern, Röttgen kämpfte aber dafür, dass sie möglichst kurz ausfallen solle. Mit seinem öffentlich erteilten Ratschlag hatte er sich jedoch keine Freunde gemacht. Wichtige Akteure hatten darüber hinaus dem Minister ganz persönlich etwas heimzuzahlen. Dem Fraktionsvorsitzenden Kauder hatte Röttgen nach der Wahl den Posten streitig gemacht, und den FDP-Chef Guido Westerwelle hatte er nach dessen Aufsatz über spätrömische Dekadenz als »irreparabel beschädigt« bezeichnet. Kanzleramtschef Ronald Pofalla, der die Atomkraft einst als »Öko-Energie« bezeichnet hatte, war spätestens seit Röttgens Alleinstellungs-Interview kein Freund des Umweltministers mehr. Und Merkel selbst besaß keinen Grund, sich für den Erfolg eines Ex-Getreuen in die Bresche zu werfen, der sich gerade mit einer eigenen Machtbasis von der Kanzlerin unabhängig machen wollte. »Es gab einen sportlichen Ehrgeiz, zu zeigen, dass Norbert Röttgen nicht der Herr im Haus ist«, sagte damals einer, der nah an Merkel dran ist.
    In Verkennung dieser Machtverhältnisse hatten führende deutsche Manager noch kurz vor der Entscheidung mit Merkels Wissen in einer Anzeigenkampagne für längere Laufzeiten geworben. Offenbar befürchteten sie einen Sieg des Umweltministers, der einen beträchtlichen Teil der Öffentlichkeit auf seiner Seite hatte. Ihrem Anliegen war das eher abträglich, weil der Eindruck entstand, die Kanzlerin handle nur als Agentin von Wirtschaftsinteressen. Er wurde dadurch verstärkt, dass die Regierung eine noch in der Nacht mit der Atomwirtschaft geschlossene Vereinbarung über die Aufteilung der erwarteten Zusatzgewinneunter Verschluss hielt – obwohl Merkel damit nach eigener Darstellung das Ziel verfolgte, einen möglichst großen Teil der Erträge in die Staatskasse zu leiten.
    Die Motive der Kanzlerin waren machtpolitischer Natur. Die Konzerne spielten vor allem deshalb eine Rolle, weil sie im CDU-Wirtschaftsflügel und dem Koalitionspartner FDP einen politischen Transmissionsriemen fanden. Um ein Signal an diese Zielgruppen, die sie in den ersten Monaten von Schwarz-Gelb vernachlässigt hatte, war es Merkel mit der Laufzeitverlängerung zu tun.
    Programmatisch war die Wende von langer Hand vorbereitet. Im Sommer 2008 hatte die CDU-Spitze mit Blick auf den Bundestagswahlkampf ein Thesenpapier zur Umweltpolitik beschlossen. Es enthielt bereits das Bekenntnis zu längeren Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke. Nach der Sitzung fiel der Satz des damaligen Generalsekretärs Pofalla: »Kernkraft ist für die CDU Öko-Energie.« Vor dem Hintergrund stark steigender Energiepreise hatten Meinungsforscher zu jener Zeit eine Mehrheit für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke ermittelt, zum ersten und bis heute einzigen Mal seit dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss. Selbst bei den Grünen tobte eine Debatte, ob der Totalausstieg aus allen herkömmlichen Energieträgern realistisch sei oder ob man zumindest Kohlekraftwerke für eine Übergangszeit noch brauche.
    Beschlossen war die Laufzeitverlängerung damit noch nicht. Merkel wäre die letzte, die sich Parteibeschlüssen auf alle Zeiten verpflichtet fühlt. Im Wahlprogramm stand auch der Wunsch nach Steuersenkungen, den Merkel rasch beerdigte. In der Bevölkerung kam der Kurswechselbei diesem Thema sehr gut an, die Beharrlichkeit der FDP wurde hingegen als unpolitischer Starrsinn ausgelegt. Und in der Atomfrage hatten sich die Mehrheiten längst wieder

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